Ondragon: Nullpunkt: Mystery-Thriller (German Edition)
fahlen Haut förmlich pochen sehen. Es wäre so einfach.
Doch dann war der Moment vorüber. Ondragon musste blinzeln und der rote Schleier verschwand. Er hatte sich wieder im Griff. Nicht anderes zählte. Da bemerkte er seine verkrampften Hände und schüttelte sie.
„Du bist so jämmerlich, Paul! Man kann dir zu jeder Zeit ansehen, was du denkst“, sagte sein Vater abfällig. „Und jetzt denkst du, du hättest dich wieder unter Kontrolle, nachdem du mich eben noch umbringen wolltest. Nicht war?“
Ondragon warf ihm einen hasserfüllten Blick zu. Ja, genieße nur deinen kleinen Sieg, alter Mann, aber pass auf, dass er sich nicht am Ende noch gegen dich richtet!
„Weiß Mutter, dass du hier bist? Weiß sie, was für ein schmutziges Spiel du treibst?“, fragte er mit dem Geschmack von bitterer Galle auf der Zunge. Es war an der Zeit, alle Lügen seiner Familie aufzudecken.
Sein Vater warf ihm einen überheblichen Blick zu. „Aber ja, natürlich. Ava wartet unten. Du kannst sie sehen, wenn du möchtest. Sie würde sich freuen.“
Ondragons Gesichtsmuskeln gefroren und eisige Kälte floss seinen Rücken hinunter, doch er zwang sich zu einer letzten Frage: „Und wie lange geht das schon? Mit dir und dem BND?“
Siegfried Ondragon schürzte die Lippen. Dann lehnte er sich gemächlich vor und setzte eine mitleidige Miene auf. „Ach, Paul“, sagte er leise, „wenn du wüsstest …“
65. Kapitel
08. Juni 2011
Berlin 13.20 Uhr
Einige Stunden später saß Ondragon im Café Einstein in der Kurfürstenstraße und grübelte bei einem dreifachen Espresso über die unerfreuliche Begegnung mit seinem Vater nach. Er hätte gut darauf verzichten können, den alten Bastard wiederzusehen. Sehr gut! Aber auf der anderen Seite hatte es ihm auch etwas gebracht, und das konnte er sich erst jetzt so richtig eingestehen. Endlich wusste er es: Es war kein Gerücht mehr, sondern die nackte Wahrheit!
Sämtliche Anspielungen jenes schmierigen schwedischen Firmenerben damals in der Cedar Creek Lodge waren tatsächlich wahr gewesen! Natürlich hatten der Typ und sein blonder Kumpan ihn damals bloß provozieren wollen – und sie hatten es auch geschafft – aber Ondragon hatte immer angenommen, es sei eine gut platzierte Lüge gewesen, die sie ihm da aufgetischt hatten. Jetzt fragte er sich jedoch, woher die beiden Männer diese Information hatten, und es beunruhigte ihn sehr, dass sie damals mehr darüber gewusst hatten als er.
Aber es stimmte.
Seine Familie arbeitete für den Geheimdienst. Sein Vater … und seine Mutter!
Ava Birgitta Ondragon hatte ihn belogen.
Und das tat mehr weh als alles andere.
Aber hatte er sich bloß in ihr getäuscht, oder hatte er sich täuschen lassen?
Niedergeschlagen stützte Ondragon den Kopf in beide Hände und starrte auf die leere Kaffeetasse vor ihm. Er brauchte dringend Urlaub, um darüber nachzudenken. Er wusste, dass es schwer werden würde, seinen Eltern jemals verzeihen zu können. Wenn nicht gar unmöglich.
Er dachte an das Gespräch mit seinem Vater. Der hatte so gut wie nichts über seine Tätigkeit beim BND preisgegeben. Das war typisch für den alten Sack. Immer machte er bloß Andeutungen und hüllte sich dann in hämisches Schweigen, nur um seine Macht zu demonstrieren. Eine armselige, kleine Macht aus „Ich weiß was, was du nicht weißt!“ und unerschütterlicher Arroganz. Jene tief verwurzelte Verachtung des Gebildeten gegenüber dem Dummen. Eine Weile hatte Ondragon dem selbstgerechten Grinsen standgehalten, in der Hoffnung, sein Vater möge sich erbarmen und ihm wenigstens einen kleinen Brocken der Wahrheit hinwerfen. Doch Siegfried Ondragon war stumm geblieben. Stumm wie ein Drache, der seine unausgesprochenen Geheimnisse wie einen Schatz hütete.
Ondragon seufzte. Er würde seinen alten Herrn nie dazu bringen, seine Geheimnisse zu offenbaren. Damit würde er wohl leben müssen. Das Einzige, was er tun konnte, war wohl, den größtmöglichen Abstand zwischen sich und ihm zu bringen. Und das am bestem heute noch.
Er blickte auf und holte sein Handy hervor. Über die Hotline der Lufthansa buchte er für den nächsten Morgen einen Flug von Berlin nach Los Angeles und winkte dann die Kellnerin herbei, bei der er sich einen weiteren Espresso und einen Teller Bandnudeln in Sahnesauce bestellte. Er hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen und spürte, wie allmählich sein Appetit zurückkehrte.
Nachdem Ondragon den Teller leergegessen hatte, tupfte er sich den
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