Ondragon: Nullpunkt: Mystery-Thriller (German Edition)
Mund mit der Serviette ab und sah sich in dem holzgetäfelten Raum um. Im Café herrschte eine ruhige aber gediegene Atmosphäre und die Tische in seiner Nähe waren leer. Er konnte also ungestört mit Charlize telefonieren. Rasch wählte er die Nummer seines Büros in L.A. Dort war es gerade acht Uhr in der Früh.
„Guten Morgen, Chef! Und wie ist es in Berlin?“
„Scheiße!“
„Oh.“ Charlize schwieg, weil sie offensichtlich nicht wusste, was sie darauf erwidern sollte.
„Schon gut“, entgegnete Ondragon, „sagen wir einfach, es ist mies gelaufen. Die ganze Sache mit der Akte war ein Fake. Ich erzähl dir alles, wenn ich wieder zurück bin. Mein Flieger landet morgen Mittag auf dem LAX. Ich komme dann direkt ins Büro.“
„Okay.“ Wieder Schweigen.
Aber Ondragon wollte jetzt kein Schweigen. Davon hatte er die Schnauze voll! „Was macht das Loch in deinem Bauch?“, erkundigte er sich höflich.
„Ist so gut wie verheilt. Ich merke kaum noch was davon. Der Mistkerl hat wirklich gut gezielt!“
„Tut mir leid, dass ich ihm dafür nicht in den Arsch treten konnte. Aber der BND ist mir zuvorgekommen.“
„Ich hoffe, der Scheißtyp schmort in der Hölle!“
„Ja, das hoffe ich auch, Honey.“ Ondragon verzog den Mund. Er hatte ihr nicht erzählt, dass Clandestin LeNoire als Einziger die Katastrophe im Berg überlebt hatte. Deshalb plagte ihn auch ein schlechtes Gewissen, schließlich hatte er es ihr versprochen, Rache zu üben. Aber er befürchtete, dass Charlize alle Hebel in Bewegung setzen würde, um Clandestin den Garaus zu machen, wenn sie wüsste, dass es ihn noch gäbe, und das wollte Ondragon verhindern. Aus einem unerfindlichen Grund war er froh, dass Monsieur Noire noch irgendwo dort draußen war und ein neues Leben anfing. Vielleicht beruhigte ihn auch bloß die Gewissheit, dass er das Geheimnis von Teslas Wundermaschine nicht alleine tragen musste, dass da draußen noch jemand war, der es mit ihm teilte. Das war in der Tat ein tröstlicher Gedanke. Ondragon fühlte nach dem kleinen Messingkästchen in seiner Hosentasche, dem wundersamen Adapter, den Yaqub ihm für sein Handy gegeben hatte. Natürlich funktionierte er nicht mehr, da das Weltensystem ja zerstört worden war, aber es war dennoch die Verbindung zu jenen Ereignissen in dem Berg. Und vielleicht bekäme es eines Tages ja eine neue Bedeutung. Bis dahin jedoch würde Ondragon es gut in seinem Safe daheim verwahren.
„Ach, Charlie“, sagte er seufzend. „Irgendwie war die ganze Sache für die Katz.“
„Hat der BND etwa seine Rechnung nicht bezahlt?“
„Doch, doch, das Geld ist angekommen, aber es bleibt ein schaler Nachgeschmack.“
„Weil Pandora verloren ist?“
„Ja.“
„Das kann ich gut verstehen. Immerhin habe auch ich mein Blut dafür geopfert.“ Sie lachte.
Apropos Blut, dachte Ondragon. Die Sache mit ihrem Vater hatte er nicht mehr angesprochen, seit er in Fortaleza ihr Krankenhauszimmer verlassen hatte. Sollte er es jetzt tun? Nein, lieber nicht. Auch das war etwas, das man besser persönlich besprach. Er spürte, wie seine alte Neugier sich regte und lächelte in sich hinein. Plötzlich fühlte er sich besser. Es gab noch genug Geheimnisse in der Welt, die er aufdecken würde, genug Probleme, die es zu lösen galt. Das seiner Familie konnte er getrost lassen, wo es war. Zumindest eine ganze Zeit lang. Und auch den Schmerz würde er schnell vergessen. Von Zeit zu Zeit musste ein Gefrierfach schließlich mal abgetaut und von alten Eiskrusten befreit werden, damit es hinterher wieder schön sauber und funktionstüchtig war. Doch vorher musste er noch etwas loswerden.
„Wir haben unser Bestes gegeben“, sagte er. „Ich danke dir für deine Hilfe, Charlize. Ohne dich …“
„Stopp! Nicht weiterreden, Chef! Sonst fühle ich mich noch gerührt. Und das wollen wir doch nicht, oder?“
„Nein, du hast recht. Das wollen wir auf keinen Fall. Wir sehen uns morgen in L.A.“
„Okay, bis morgen. Guten Flug.“
„Danke.“ Ondragon legte auf. Er war froh, dass Charlize die professionelle Distanz wieder hergestellt hatte, und freute sich auf seine Rückkehr in die ‚Normalität‘. Ja, er freute sich tatsächlich darauf, nach Hause zu kommen. Das war wirklich ungewöhnlich, denn ein wirkliches Zuhause gab es für ihn eigentlich nicht. Ohne es heraufbeschworen zu haben, tauchte plötzlich Malins Gesicht vor seinem geistigen Auge auf. Ihr stets misstrauischer Ausdruck und ihr forschender Blick, der
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