Ondragon: Nullpunkt: Mystery-Thriller (German Edition)
Halle waren sorgfältig sortiert worden. Ondragon sah sich nur die Bilder von der JU 390 an. Ein klobiger Konus, der wohl mal eines der sechs Propellertriebwerke gewesen war, lag auf dem Betonboden, daneben ragten verbogene Teile einer olivgrünen Tragfläche auf, und auf dem nächsten Foto war das charakteristische Heckleitwerk der Junkers zu sehen. Ondragon konnte darauf vage die Umrisse eines Hakenkreuzes erkennen. Obwohl die Tiefsee alles gegeben hatte, um die abscheulichen Beweise der Herkunft dieser Maschine zu vernichten, war es dennoch da; brutal aus der dunklen Senke des Vergessens zurück ans Licht gezerrt.
Ondragon rief das nächste Foto auf, das die Pilotenkanzel und den beinahe unversehrten Bug der Junkers zeigte. Er war kein Experte für Flugzeugabstürze, aber da Bug und Heck so wenig beschädigt waren, ließ dies den Schluss zu, dass die Maschine mit der Unterseite zuerst auf dem Meer aufgeschlagen war. Sie hatte einen verdammten Bauchklatscher gemacht. Nur warum? War ihr schlicht und einfach der Sprit ausgegangen? Ondragon hoffte, dass sich auf dem Chip auch Untersuchungsberichte zur Absturzursache der Junkers befanden. Er arbeitete sich zu den Fotos von der Kiste vor, die unter dem Sitz des Co-Piloten eingeklemmt gewesen war, und erreichte den Zeitpunkt ihrer Öffnung, den er ja live miterlebt hatte. Er hielt inne. Die Fotos mit dem Logbuch wollte er am liebsten überspringen, doch er besann sich. Er hatte schon einmal etwas Entscheidendes übersehen, weil er es nicht über sich gebracht hatte, ein Foto von einem Buch zu betrachten. Damals hatte er sich mächtig darüber geärgert. Das sollte ihm nicht noch einmal passieren. Also nahm er sich die Aufnahmen vor und klickte die erste an.
Mit stetig wachsendem Schwindelgefühl und heißen Wellen des Ekels im Magen versuchte er, seine Augen auf das Corpus horribilis gerichtet zu halten. Schweiß trat ihm auf die Stirn und sein Blickfeld wurde immer enger. Kreisförmig rotierte der Schwindel um sein Gesichtsfeld und ließ nur das Zentrum klar erscheinen.
Sieh hin! Sieh, verdammt nochmal, hin! Es könnte wichtig sein!
Aber da war nichts. Was sollte da schon sein? Es war ein Foto von einer handbeschriebenen Tabelle. Schnell sprang er zurück zu den Aufnahmen von der Edison-Medaille, und der kreisende Schwindel wurde schwächer. Die goldglänzende Medaille hatte etwas ungemein Beruhigendes an sich, wie sie da auf dem Samtbett in der Schatulle lag … wie ein wertvoller Schatz. Langsam ging es Ondragon besser und schließlich wagte er es, einen weiteren Versuch zu unternehmen. Als stünde er vor einem Tauchgang, holte er tief Luft und klickte auf das Foto mit dem Buch.
Das Papier der Seite war grau und mit Stockflecken übersät, und sofort meinte Ondragon, den muffigen Geruch alter Folianten in der Nase zu haben. Heiß flammte sein Ekel wieder auf. Doch er zwang sich, weiter hinzusehen. Die Schrift auf dem Foto war zu klein zum Lesen, also vergrößerte er den Ausschnitt und erkannte, dass der Text mit schwarzer Tinte verfasst war. „Flugbuch – Oberst Karl Brenner“, stand dort geschrieben. Diesen Namen kannte er bereits von Charlizes Übertragung.
Schnell. Nächstes Bild, bevor …
Ondragon würgte den Ekel herunter. Das Geräusch, das er dabei verursachte, hallte dabei ungewollt laut durch das Zimmer. Nur widerstrebend blickte er auf die dicht beschriebene Tabelle und vergrößerte mit zitternden Fingern das Bild. Die rauen Fasern des Papiers sprangen ihm entgegen, als wollten sie ihn angreifen, als wollten sie ihm Mund und Nase verstopfen und ihn mit ihrem pappigen Brei ersticken!
Mit einem Aufschrei des Abscheus warf Ondragon die Kamera auf das Bett und fuhr sich mit den Händen durchs Haar, dabei bohrten sich seine Fingernägel in die Kopfhaut. Ungehindert stürzte die Erinnerung auf ihn ein. Er roch die Bücher, schmeckte ihr Papier, spürte ihr Gewicht auf seinem Körper. Er sah seinen Bruder mit zerschmettertem Schädel unter dem Bücherhaufen liegen, sah sein Blut über den Teppich rinnen und seine Mutter mit vor Schreck geweiteten Augen, die Hände vor den Mund geschlagen – die Reaktion eines Menschen, der gerade etwas Schreckliches erlebt. Doch plötzlich wandelte sich das Gesicht seiner Mutter, ganz so als zöge sie sich die Haut ab, um darunter ein neues Antlitz zum Vorschein zu bringen! Dieses Gesicht wirkte auf einmal keineswegs mehr erschrocken. Im Gegenteil, der Blick seiner Mutter war kalt und berechnend. Ondragon konnte
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