Ondragon: Nullpunkt: Mystery-Thriller (German Edition)
ist ein Mann, der die Saat auf einem Feld ausbringt. Dr. Schuch schreibt doch: ‚Aber das Rad des Sämanns lässt sich nur schwerlich zurückdrehen‘. Das klingt sehr ungewöhnlich. Solch eine Formulierung habe ich noch nie gehört. Mir fällt da spontan nur das Rad der Zeit oder das des Schicksals ein.“
„Okay, ich versuch’s.“
„Ach ja, und ich hab da noch was, aus dem ich nicht schlau werde. Ein Bild von einem Kreuz. Es ist ein Tattoo und könnte etwas bedeuten. Ich schicke es dir zu. Vielleicht findest du ja was darüber heraus.“
„Klaro, Mr. O.“
Ondragon überlegte kurz, ob er Truthfinder über die Nullpunktenergie und die mögliche Existenz eines Perpetuum mobiles ausfragen sollte, ließ es dann aber bleiben. Es war zu früh am Morgen, um eine Lehrstunde in Physik zu nehmen. Er verschob das auf später, so wie er auch damals in der Schule stets seine Physikhausaufgaben auf einen ferneren Zeitpunkt verschoben hatte. Jenen berühmten Zeitpunkt namens ‚Niemals‘.
Der Traum von seiner Mutter drängte sich unangenehm in seine Erinnerung. „NIEMALS!“, hatte sie mit unheimlicher Nachdrücklichkeit gesagt, und Ondragon überlegte, ob das etwas zu bedeuten hatte, oder ob es nur der allnächtliche Unsinn war, den sein Hirn sich da zusammenfaselte.
Weißt du, was ein Geheimnis ist, Paul?
„Hey Mr. O, ist alles in Ordnung?“, fragte Truthfinders Stimme am anderen Ende des Telefons.
„Äh, ja.“ Ondragon verscheuchte das Bild von den roten Lippen seiner Mutter und fragte mit unbekümmertem Ton zurück: „Wieso?“
„Sie haben gerade etwas vor sich hingemurmelt. Es hörte sich an wie Blutopfer. Ich kann ja kein Deutsch, aber es klang zumindest so. Was heißt das?“
„Ach, nichts“, Ondragon musste sich Mühe geben, sein Erstaunen zu verbergen. „Ich habe nur laut gedacht. Nichts Besonderes. Okay, du meldest dich, wenn du was Neues zu dem Code herausgefunden hast?“
„ Yo! “
„Prima, wir hören uns.“ Schnell legte Ondragon auf und starrte in das fahle Licht der Morgendämmerung, das durch die fadenscheinigen Gardinen sickerte. Die roten Lippen bewegten sich noch immer. „ Blutopfer! “, flüsterten sie.
Um acht Uhr stand Charlize wie verabredet vor der Tür. Ondragon hatte sich notdürftig mit dem abgestandenen Wasser aus dem Eimer gewaschen und ein weniger gebrauchtes Hemd aus seiner Tasche angezogen. Er hatte das Gefühl, als jucke sein ganzer Körper. Vom Geruch ganz zu schweigen. Den konnte auch das stärkste Deo nicht mehr übertünchen. Wenn er nicht bald eine Dusche bekäme, würde er von dem Gejucke noch wahnsinnig werden. Hinzu kam ein mörderischer Hunger, der in seiner Magenkuhle wühlte. Die Churrascos vom Vorabend waren längst verdaut und die versammelte Gewerkschaft seiner für Nahrung zuständigen Organe schrie nach mehr.
„Und? Hast du was über den Code oder das Kreuz herausgefunden?“, fragte er ohne große Hoffnung.
„Leider nein, Chef. Kommst du?“
Ondragon unterdrückte den Impuls, sich unter der Achsel zu kratzen, und folgte Charlize in gebührendem Abstand durch die verwahrlosten Gänge. Die Luft war stickig und hatte sich über Nacht kaum abgekühlt. Schnell legte sich eine frische Schweißschicht auf seine Haut. Ondragon ließ sich noch weiter zurückfallen.
Charlize erreichte die Tür mit dem großen CA-Zeichen und drehte sich um. „Was ist denn? Warum so langsam heute?“
„Zu heiß. Zu ungeduscht. Zu hungrig. Such dir was aus.“
Sie sah ihn mitleidig an. Dann trat dieser andere, härtere Ausdruck in ihre Augen. Der Samurai-Blick. Nein, der hier war eher der Mafiabraut-Drogengangster-Blick! Sie wandte sich wieder der Tür zu und klopfte energisch.
Als sie wenig später auf dem Sofa neben Sem saßen und Sfirra , eine Art Minipizzen mit Hackfleisch, zum Frühstück aßen, ging es ihm schon viel besser. Zumindest war das werwolfmäßige Magenknurren verschwunden, das ihn am Denken gehindert hatte. Die Dusche würde sich im Laufe des Tages bestimmt auch noch organisieren lassen, und wenn er in Charlizes Quartier einbrach!
Sem hatte Neuigkeiten für sie. Er hatte nicht aufgegeben und weiterhin die Augen der Favela befragt. Und tatsächlich hatte jemand ihren Unbekannten dabei beobachtet, wie er aus seinem Versteck in der verfallenen Fabrik geflohen war. Einen kleinen, schlanken Mann mit einer Kiste auf der Schulter. Er hatte die Favela gestern Morgen kurz nach Sonnenaufgang verlassen und war in Richtung Praia Meireles gegangen. Eine
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