Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)
stemmte sich auf die Beine. Geduckt floh er weiter durch den Stollen, mal auf zwei Beinen, mal mit den Händen nach vorn abgestützt wie ein Gorilla auf Speed. Immer wieder wurde er von Schutt und Trümmern aufgehalten, bei deren Überquerung er wertvolle Sekunden verlor. Wie ein Irrlicht hüpfte dabei der weiße Schein seiner Stirnlampe vor ihm her, als wolle es ihn necken, es zu fangen. Doch dann gewahrte er endlich fahles Licht am Ende des Stollens und blickte wenig später geblendet zu der rettenden Öffnung hinauf.
Er fädelte das Kletterseil in seinen Gurt, zog sich die Maske vom Gesicht und brüllte, so laut er konnte, zu dem grellen Viereck hinauf, wo augenblicklich ein Kopf erschien.
„Halt dich fest, Ecks! Wir ziehen dich rauf!“, rief Rod von oben herab.
Gleich drauf spannte sich das Seil, und Stück für Stück wurde Ondragon in die Höhe gehoben.
Gott sei Dank!
Die Sprengladung detonierte, als er auf der Hälfte des Schachtes hing. Ein Zittern ging durch die Luft und ein Grollen drang aus den Felsen um ihn herum, als knurre ihn der Berg an, weil er es gewagt hatte, ihn noch einmal zu verwunden. Steine lösten sich aus der Schachtwand und fielen auf ihn herab. Dann stieg eine Staubwolke von unten herauf und hüllte ihn ein. Ondragon hielt die Augen geschlossen und klammerte sich am Seil fest.
„Los, zieht!“, rief er durch den nach Stein schmeckenden Nebel. „Zieht weiter!“
Als er endlich den Schachtrand zu packen bekam und sich hinaushievte, war die tropisch schwüle Luft, die dickflüssig wie Sirup in seine mit Staub gepuderte Nase drang, das Süßeste, was er jemals eingeatmet hatte.
30. Kapitel
16. Februar 2010
Haiti, an der Oberfläche
16.20 Uhr
„Hast du was Brauchbares finden können?“, fragte Rod und half Ondragon auf die Beine.
Der musste erst seine schwirrende Sicht in den Griff bekommen, bevor er antwortete. Mit der Hand rieb er sich den Staub aus den Augen und nickte.
„Und, weißt du jetzt, warum meine Mailmen verschwunden sind?“ Rod ließ nicht locker.
Ondragon nahm einen großen Schluck aus einer neuen Wasserflasche und stieß einen zufriedenen Seufzer aus. Er schraubte die Flasche wieder zu und blinzelte seinen Freund an. „Ich denke, ich habe eine gewisse Ahnung davon bekommen, was da unten abgelaufen ist. Mit dem Verschwinden deiner Männer hat das aber, so fürchte ich, nicht viel zu tun. Das ist noch immer eine andere Baustelle.“
Verständnislos blickte Rod ihn an.
Ondragon legte dem Briten eine Hand auf die Schulter. „Später, mein Freund, später. Zuerst muss ich noch ein wenig darüber nachdenken. Voreilige Schlüsse helfen uns nicht weiter.“ Er zog sein Handy aus der Tasche und stellte fest, dass das Display gesprungen war. Zum Henker, das war schon das zweite Telefon, das er in diesem Fall zerschliss. Er schaltete es an. Leider keine Nachricht von Charlize. Nur der unbekannte Teilnehmer, der drei weitere Male versucht hatte, ihn zu erreichen.
„Und was machen wir jetzt? Wie sieht der schedule aus?“, wollte Rod wissen.
„Wir machen uns vom Acker“, Ondragon steckte das iPhone weg und sah zur Sonne hinauf. „Noch eine Stunde bis zum Sonnenuntergang. Bis dahin können wir es über den Grat schaffen. Anschließend noch zwei bis drei Stunden Marsch bis zur Küste und dann …“, er machte eine Bewegung mit der flachen Hand, „… ab der Fisch! Jamaika, stell schon mal die Cocktails kalt!“
Rod grinste und warf Ondragon die Kaugummis zu, von denen er sich einen in den Mund steckte. „Sag der Madame Bescheid, dass wir abmarschieren. Und räumt eure Rucksäcke aus. Ihr könnt die überflüssige Ausrüstung hier zurücklassen.“ Rod nickte und stapfte über den Schuttkegel zu der Madame hinüber, während Ondragon seinen Rucksack neu packte. Bis auf die Mappen, die Tütchen mit den Maiskörnern, die Kamera, Munition, seinen Wasservorrat und etwas zu essen flog alles andere raus. Prüfend hob er den Rucksack an. Er war bei weitem nicht mehr so schwer wie auf ihrem Hinweg.
Ondragon legte den Kopf in den Nacken. Oh, wie er sich nach einer Dusche und einem kühlen Bier sehnte! Er schnallte das Gepäck auf seinen Rücken und griff nach dem Gewehr. Noch drei, höchstens vier Stunden und sie wären auf dem Boot. Und bereits morgen früh säßen sie in Rods Maschine in Richtung Big Easy.
„He, Ecks! Kommst du mal?“ Die Stimme seines Freundes riss ihn aus dem herrlichen Tagtraum von frisch bezogenen Betten und eisgekühlten
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