Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)
dahingerafft worden, der, so hoffte Ondragon, zumindest nur bis in die Schleuse und nicht weiter gelangt war.
Er suchte den Boden nach der blutigen Spur ab, die nur noch schwer zu erkennen war, aber eindeutig zu einer von drei Durchgängen führte, die wie Gefängnistüren aussahen, massiv und mit einem verriegelten Sichtfenster im oberen Bereich. Linkerhand neben dem Türrahmen befand sich jeweils ein kleines Kästchen mit Tasten und erloschenen Kontrolllampen. Elektronische Schlösser also. Die waren nach dem Stromausfall, den das Beben ausgelöst hatte, zweifellos einfach so aufgegangen.
Aber was befand sich dahinter? Welche Art von Versuchstier war hier mit dem Mais gefüttert worden?
In Ondragon hatte sich bereits eine fürchterliche Ahnung manifestiert. Er besah sich die Türen. Nummer eins und zwei waren nur angelehnt. Nummer drei, unter der die blutige Barfußspur verschwand, war verschlossen. Ondragon spürte, wie sein Innerstes sich gegen die Ahnung sträubte, die sich immer stärker in sein Bewusstsein drängte. Das hier war …
Seine Finger umfassten das kalte Metall des Schiebeschutzes vor dem Sichtfenster der Nummer drei. Laut hörte er seinen Atem in der Maske rasseln und ächzen. Der Filter würde nicht mehr allzu lange halten, schoss es ihm durch den Kopf.
Außerdem ist es höchste Zeit, von hier zu verschwinden, wenn du nicht willst, dass Rod und die Madame ohne dich abhauen. Mach also hin!
Mit einem kurzentschlossenen Ruck zog er den Schutz beiseite und ließ das Licht seiner Lampe durch den kleinen Raum auf der anderen Seite streifen. Es beleuchtete das Innere einer Zelle, die vielleicht vier mal vier Schritt groß und in einem sterilen Weiß gestrichen war. Auf einer Pritsche ihm gegenüber lag ein Mensch in fötaler Haltung, den Rücken der Tür zugewandt, die nackten Fußsohlen mit rostrotem Blut beschmiert. Er war ganz eindeutig von dunkler Hautfarbe, auch wenn der Ebenholzton sich in ein schlammiges Grau verwandelt hatte. Fleckige und an einigen Stellen zerrissene Kleidung hing um seinen abgemagerten Leib. Still lag die Gestalt da, von der Ondragon nicht wusste, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte.
War sie tot wie alle anderen hier unten?
Um das herauszufinden, würde er in die Zelle gehen müssen. Er seufzte. Natürlich würde er das tun, denn es galt immer noch, das Duell gegen die Königin aller Geheimnisse zu gewinnen!
Behutsam zog er am Türgriff. Ohne einen Laut schwang die Nummer drei auf und gab den Blick vollständig auf das Zelleninnere frei. Ein Waschbecken und eine Toilette aus Edelstahl in der linken vorderen Ecke ergänzten die spartanische Einrichtung.
Auf leisen Sohlen und mit zum Zerreißen gespannten Nerven schlich Ondragon auf die Gestalt zu, die Pistole im Anschlag. Fast jeden Moment rechnete er damit, dass der dürre Körper aufspringen und ihn anfallen könnte.
Doch er tat nichts dergleichen. Reglos lag er da wie ein übergroßes, mumifiziertes Baby.
Mit dem Lauf seiner Waffe stieß Ondragon schließlich an den mageren Rücken der Gestalt, aus dem das Rückgrat hervorstach wie die Stacheln einer Urzeitechse.
Nichts geschah.
Er stieß die Gestalt noch einmal an, und als sie sich immer noch nicht rührte, drehte Ondragon sie um. Es überraschte ihn wenig, in das ausgemergelte Gesicht eines Haitianers undefinierbaren Alters zu blicken. Die breiten Wangenkochen ragten wie Schutzschilde hervor und ließen die Augenhöhlen noch tiefer erscheinen. Der Mann hatte die Lider geschlossen und die Lippen zu einem beinahe seligen Lächeln verzogen. Blut bedeckte sein Kinn und seine Brust. Und die fahle Haut spannte sich um seinen Schädel, der wie sein Hals mit Beulen übersät war. Es sah fast so aus, als hätte die Beulenpest wieder Saison.
Ondragon holte die Kamera hervor und schoss ein paar Bilder.
Grell reflektierten die Blitzlichter von den Wänden, vom Leichnam, vom getrockneten Blut.
Mit einem Schlag packte Ondragon das Grauen, und er taumelte zurück. Bis hier hin war es ihm gelungen, es zu unterdrücken, doch nun sprang es wie ein Derwisch aus dem Bannkreis der Selbstbeherrschung und riss sämtliche Wälle ein. Wie ein Rammbock traf ihn die Übelkeit in den Magen, und Ondragon gab ein Stöhnen von sich. Prickelnd stieg ihm der Ekel immer weiter die Kehle empor und kroch über seinen Gaumen.
Jetzt nicht in die Maske kotzen!
Mit beiden Händen auf den Bauch gepresst, zwang er seine außer Rand und Band geratenen vegetativen Funktionen wieder zur
Weitere Kostenlose Bücher