Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)
Sonne ihre letzten Strahlen über den Bergkamm wie einen wehmütigen Abschiedsgruß. Kurz darauf flossen blaue Schatten zu ihnen herab und schwappten über sie hinweg bis weit in die bewaldete Ebene hinein, die immer weiter unter ihnen zurückblieb.
Schwitzend arbeitete sich Ondragon über das wackelige Geröll voran. Schritt für Schritt in einem Meer aus gelben Steinen, in dem er plötzlich etwas entdeckte, das nicht hierhergehörte. Er machte vor dem Gegenstand Halt und hob ihn auf.
„He, schaut mal! Unser Macheten-Kerl hat sein Accessoire verloren!“ Er schwenkte die blutverklebte Machete über dem Kopf.
„Das bedeutet aber auch, dass er hier war“, entgegnete Rod, der keuchend innehielt und sich umsah. „Wir sollten besser die Augen aufhalten!“
„Ja, denn sonst kommt uns der Zombie holen! Uhhh!“, scherzte Ondragon, was die Madame mit einem bösen Blick quittierte. Lachend wandte er sich um und setzte seinen Aufstieg fort.
Als sie den schmalen Sims unterhalb des Grates erreichten, fiel die Dunkelheit vom Himmel auf sie nieder, als würde ein Becher über sie gestülpt werden.
„Scheiße!“, fluchte Rod leise vor sich hin, und Ondragon hörte, wie hinter ihm Steine in die Tiefe polterten.
„Geht’s?“, erkundigte er sich, wagte es aber nicht, sich umzuwenden. Er hatte seine Stirnlampe eingeschaltet und beleuchtete den schmalen Weg vor seinen Fußspitzen, den man kaum als solchen bezeichnen konnte. Enervierend langsam schob er sich darauf entlang, mit der linken Hand über den noch sonnenwarmen Fels tastend und mit der rechten in der Luft wedelnd.
Derweil leuchteten über der haitianischen Bergwelt die ersten Sterne am dunklen Himmel auf. Lautlos huschten Fledermäuse um ihre Köpfe und fingen die Nachtinsekten, die sich vom Licht der Lampen angezogen fühlten. Schweigend lag die Ebene mit dem Wald unter ihnen wie ein schwarzer See.
Nach einer halben Ewigkeit im Krebsgang sah Ondragon vor sich endlich die Marassa Pierres aus dem Felsengarten auftauchen.
„Gleich haben wir es geschafft“, rief er über die Schulter zurück. „Dort vorne sind die Zwillingsfelsen. Dahinter geht’s bergab!“ Beschwingt von diesem Gedanken beschleunigte Ondragon seine Schritte und erreichte wenig später den schmalen Durchschlupf zwischen den Felsen. Er packte den Stein und wandte sich um.
„Los. Hopp, hopp!“, rief er und schlüpfte durch den Spalt.
Auf der anderen Seite wehte ein frischer Wind von der Tiefebene herauf. Dort unten lag das Dorf in den Schatten der Nacht. Hier und da brannte ein Herdfeuer und über dem fernen Horizont im Westen lag noch ein letzter Schimmer Abendrot. Vage konnte Ondragon am Hang vor seinen Füßen das helle Band des Weges ausmachen, dessen Serpentinen im Zickack in die Tiefe sprangen. Er wandte sich um.
Im selben Moment traf ihn ein heftiger Schlag im Gesicht und es knackte laut vernehmlich unter seinem Auge. Überrascht schrie Ondragon auf und hob das Gewehr. Mit tränenden Augen und dem Gefühl, als stecke eine Motorsäge in seinem Jochbein, suchte er seine Umgebung ab, durchschnitt die Dunkelheit systematisch mit seiner Stirnlampe. Doch der Angreifer war nirgendwo zu entdecken.
Ondragon erblickte Rod, der sich mit seiner schweren Last auf dem Rücken durch den Spalt zwischen den Felsen schob. Etwas blitzte über dessen rechter Schulter oberhalb des Felsens auf. Zwei fahl aufglühende Augen wie bei einer Katze. Rasch ließ Ondragon seinen Lichtstrahl dorthin gleiten.
Er erfasste eine Gestalt, die geduckt auf dem Felsen kauerte. Zum Sprung bereit.
„Achtung, Rod hinter dir!“, warnte er seinen Freund und legte mit dem Gewehr auf die Gestalt an. Doch die reagierte mit unheimlicher Gewandtheit und stürzte sich mit einem keuchenden Laut auf Rod.
Der Brite ging unter der zusätzlichen Last in die Knie. Seine Hände nestelten an dem Holster seiner Pistole, doch der Angreifer fuhr ihm brutal mit den Fingern über das Gesicht und hinterließ tiefrote Striemen. Rod bäumte sich schreiend auf, versuchte den Schatten abzuschütteln, der wie ein knochiger Kobold auf seinen Schultern hockte und mit einem feuchtgurgelnden Grunzen nach dem Mädchen im Rucksack griff.
Der Zombie!
Ondragon fühlte sich wie in einem schlechten Traum gefangen, während er über den Lauf seiner Waffe zielte und sich auf die Kämpfenden zubewegte. Seine Wange pochte im Rhythmus seines rasenden Herzens – als sei sie ein Verstärker, der mit jedem Schlag glühende Nadeln in sein rechtes Auge
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