Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)
Spuren folgte. Sie verschwanden durch die Tür, durch die er eben gekommen war. Er hob die Waffe. Sein Atem ging schnell und seine Haut hatte sich zu einer kalten Hülle fest um seinen Kopf zusammengezogen. Alles an ihm befand sich in höchster Alarmbereitschaft. Auch seine Gedanken rasten in Schallgeschwindigkeit durch die Hirnwindungen und versuchten, das, was hier passiert war, zu rekonstruieren.
Irgendjemand musste hier mächtig in Rage geraten sein und all seine Kollegen abgemurkst haben. Aber wer von den Laborratten war es gewesen? Und warum hatte er das getan? War er nach dem Beben der Hysterie verfallen und durchgedreht, weil sie hier unten eingesperrt waren? Laut der Berichte der Mailmen war der Eingang zum Labor zwar frei von Geröll gewesen, aber die Treppe war eingestürzt. Die Mitarbeiter hatten hier also festgesessen, als das Massaker geschah. Und was war mit den vier Darwin-Angestellten, die sich an der Oberfläche befunden hatten? Waren sie von dem Beben überrascht und getötet worden? Und wo hatten die Toten überhaupt gelegen, bevor die Mailmen sie weggeschafft hatten?
„Verdammte Scheiße!“, entfuhr es Ondragon unter der Maske. Zum wiederholten Male wünschte er sich, die Berichte hätten mehr Informationen über die Toten an der Oberfläche enthalten. So blieb ihm nichts anderes übrig als zu spekulieren. Und er hasste es zu spekulieren. Aber es gab nicht den geringsten Anhaltspunkt. Auch in den Wohncontainern an der Oberfläche war nichts Auffälliges gewesen. Kein Blut, keine Spuren eines Kampfes. Und auch sonst hatte es auf dem Gelände keine Anzeichen auf etwas anderes als ein Erdbeben gegeben. Er tappte im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln!
Und das machte ihn rasend.
Es war, als fordere ihn eine höhere Macht zum Duell heraus. Die Königin aller Geheimnisse wollte ihn verhöhnen. Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen. Er musste dieses Duell gewinnen!
Mit verbissener Miene und erhobener Waffe verließ er das Horrorszenario in der Kantine und folgte den Fußspuren.
Sie führten zu der letzten Tür.
Hinein, aber nicht wieder heraus.
Das hatte er vorhin gar nicht bemerkt, weil er nur auf die Schilder geachtet hatte. Der Killer musste sich noch immer in Lab III aufhalten.
Vorsichtig drehte Ondragon den Knauf und stieß die Tür in einen weiten Bogen auf. Einen Moment lang zielte er mit der Pistole in den Raum.
Nichts rührte sich im weißen Lichtstrahl seiner Lampe.
Sein Gehör auf jedes noch so kleine Geräusch justiert, betrat er das dritte Labor, in dem eine chaotische Unordnung herrschte. Regale waren umgestürzt, und überall lagen durchsichtige Hartplastikkästen auf dem Boden, aus denen helle Streu gerieselt war. Zwischen den Boxen fand Ondragon leere Wasserspender, Futternäpfe mit Maiskörnern und zahlreiche kleine, in sich zusammengefallene Kadaver mit weißem Fell und langen rosa Schwänzen.
Versuchsratten.
Ondragon hob einen Behälter auf und las die Beschriftung. Rattus norvegicus/RTS44 – Crypt-Class III. Demnach waren hier unten auch Tierversuche durchgeführt worden. Wahrscheinlich waren die Ratten mit dem Genmais gefüttert worden, um zu sehen, ob er für den Verzehr geeignet war. Nichts Ungewöhnliches. Bis auf die Tatsache, dass einige der erstarrten Körper getrocknetes Blut am Maul und im Fell aufwiesen. Andere hatten in höllischer Pein ihren Kopf so weit zurückgebogen, dass es aussah, als wollten sie sich selbst ins Rückgrat beißen.
Er dokumentierte das Chaos mit seiner Kamera und bahnte sich danach einen Weg durch die umgefallenen Kästen. Die Stirnlampe auf den Boden gerichtet, stieß er hier und da mit der Fußspitze eine tote Ratte beiseite und folgte den immer schwächer werdenden Fußspuren, bis er schließlich in einen weiteren Raum gelangte, in dem an der linken Seite sechs große Gitterkäfige aufgereiht waren. Darin lagen leblose graue Fellknäuel.
Rhesusaffen, dachte Ondragon. Ihre kleinen vertrockneten Händchen hatten sich in unvorstellbarer Todesqual an die Gitterstäbe geklammert – verdurstet und verhungert in einer tödlichen Falle. Genau wie die Mitarbeiter des Labors in einer Falle gesessen hatten. Was für eine Ironie des Schicksals!
Nur mit einem Unterschied.
Unter den Menschen war einer gewesen, der wahnsinnig geworden war und in bestialischer Raserei seine sämtlichen Artgenossen niedergemetzelt hatte. Naja, nicht alle, denn die zwei Toten in Lab II waren mit großer Sicherheit durch einen bösartigen Erreger
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