Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)
Nachbarschaft sah nicht gerade einladend aus mit der von der Wüstensonne zu gelblichen Skeletten verdorrten Vegetation in den Vorgärten.
Nach einer Weile löste Ondragon sich von der Gruppe und überquerte die Straße. Zwischen zwei Häusern, vor deren Garagen keine Autos standen, schlug er sich auf einem kleinen Weg zur hinteren Grenze zu Ellys‘ Grundstück durch und zwängte sich in eine buschbewachsene Lücke zwischen den hohen Lattenzäunen, welche die Grundstücke umschlossen. Durch ein Astloch beobachtete er den Garten und die Rückseite des Ellys-Hauses. Der Rasen war tot, und das schon seit längerem, obwohl mit Sicherheit eine unterirdische Sprinkleranlage vorhanden war. Tyler Ellys legte wohl nicht viel Wert auf einen grünen Garten. Auch das Haus machte keinen allzu frischen Eindruck. Obwohl es nicht älter als zehn Jahre sein konnte, hatte es einen neuen Anstrich dringend nötig, denn das Holz bleckte unter der aufgeplatzten hellbraunen Farbe hervor wie bleiche Knochen unter verwelkter Haut. Ondragon stellte fest, dass es keinen Zaun zwischen den Grundstücken Ellys und Diego gab. Offensichtlich verstand sich Ellys recht gut mit seinem Nachbarn. Nur bei der Rasenpflege war Mr. Diego augenscheinlich etwas gewissenhafter. Knallgrün und frisch beregnet leuchtete das Bahamasgras auf dessen Gartenhälfte im Licht des Vormittages. Auch die Fassade des Diego-Hauses war in jüngster Zeit gestrichen worden.
Ondragon begutachtete erneut das Eigenheim des Vermissten. Die Fenster waren noch immer mit Vorhängen verschlossen. Die Polizei hatte anscheinend nichts verändert.
Plötzlich huschte ein Schatten vor Ondragons Augen am Astloch vorbei. Schnell nahm er etwas Abstand vom Zaun. War da noch jemand, der das Haus beobachtete?
Leise Schritte waren auf der anderen Seite zu hören. Die Person schien direkt am Zaun zu stehen. Ondragon hielt den Atem an, weil er fürchtete, der andere könnte ihn hören. Es kratzte ein paar Mal am Holz der Latten, dann erklangen weitere Schritte. Was zum Teufel tat der Kerl da?
Erst als es hinter dem Zaun leise zu singen begann, wusste Ondragon, wer das auf der anderen Seite war. Er entspannte sich. Das dort war kein unsichtbarer Gegner, das konnte nur Mr. Diegos Tochter sein. Kaplan Bolič hatte ihn zuvor über die unmittelbaren Nachbarn von Ellys aufgeklärt. Mr. Diego war Witwer und lebte mit seinen beiden Kindern, der fünf Jahre alten Maria und dem dreijährigen Xavier, zusammen.
Ondragon näherte sich dem Astloch und konnte das kleine Mädchen nun auch sehen. Fröhlich hopste es vom verdorrten Ellys-Rasen hinüber zum frischen Diego-Grün. Wie die Vision von einer kleinen Weltenwanderin, die vom Reich der Toten hinüber in das der Lebenden schritt.
Maria lief barfuß und trug ein blaues Kleid. Ihr dunkles Haar war zu zwei lustigen Zöpfen gebunden und um ihren Hals baumelten verschiedene selbstgebastelte Ketten aus Nüssen und Samenhülsen. Ondragon beobachtete, wie sie durch eine Hintertür im Diego-Haus verschwand.
Noch eine halbe Stunde verharrte er hinter dem Zaun, aber nichts Nennenswertes geschah. Kurz nach elf verließ er sein Versteck und ging unauffällig zum Auto zurück, auf dem sich schon der Staub der Wüste niedergelassen hatte. Mit laufender Klimaanlage notierte er sich die neuesten Erkenntnisse auf seinem kleinen Notizblock und fuhr anschließend zurück ins Zentrum. An der Tucson Mall parkte er und ging in den riesigen Gebäudekomplex. Er brauchte ein paar Utensilien für seinen nächtlichen Ausflug.
Nachdem er alles eingekauft hatte, kehrte er zum Hotel zurück und nahm in dem dazugehörigen Restaurant ein ausgezeichnetes Mittagessen zu sich.
Zu Fuß machte er sich wenig später auf den Weg zum Arizona Hotel. Er betrat die Lobby durch den Haupteingang, ließ die Rezeption mit einem Nicken links liegen und begab sich zu den Fahrstühlen, wo er seine frisch gekaufte Baseballkappe zurechtrückte, um sein Gesicht vor den überall installierten Sicherheitskameras zu verbergen. Dann drückte er auf den Knopf für den siebten Stock. Dort angekommen schlüpfte er in das angrenzende Treppenhaus und stieg wieder zwei Stockwerke tiefer ins fünfte. Manche würden jetzt sagen, er wäre paranoid, aber Ondragon hatte die Erfahrung gemacht, dass man niemals vorsichtig genug sein konnte. Deshalb klopfte er auch erst an die Tür mit der Nummer 506, nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand auf dem Flur war.
Zunächst antwortete ihm bloß Stille,
Weitere Kostenlose Bücher