Ondragon: Totenernte: Mystery-Thriller (German Edition)
Wagentür, stieg aus und lief geduckt zwischen den Häusern hindurch. Im Schatten des kleinen Weges, der zu den Rückseiten der Grundstücke führte, zog er sich die Softshell-Gesichtsmaske über Mund und Nase, mit der er zwar aussah wie der kleine Bruder von Dr. Lecter, aber dafür erkannte man ihn nicht so schnell. Gekleidet war er in eine schwarze Hose und eine gleichfarbige Bomberjacke, die er in der Mall gekauft hatte. Dazu noch Tesafilm und ein großes Bowiemesser, das er an seinem Gürtel trug. Seine Hände steckten in dünnen dunklen Lederhandschuhen.
Darum bemüht, keine Geräusche zu verursachen, kletterte Ondragon über den Lattenzaun in Tyler Ellys‘ Garten und huschte zur hinteren Veranda, wo er sich mit einem Dietrich an der Tür zu schaffen machte. Das Schloss klickte und Ondragon schob die Tür auf, doch weiter als einen armdicken Spalt konnte er sie nicht öffnen. Mindestens vier Sicherheitsketten, die von innen angebracht waren, verhinderten sein weiteres Eindringen.
Damn it! Einen Bolzenschneider hatte er natürlich nicht dabei. Warum hatte der Springer ihm nichts von den Schlössern erzählt? Jetzt musste er notgedrungen durch die Vordertür rein.
Vorsichtig schlich Ondragon ums Haus, spähte auf die leere Straße und versenkte seinen Dietrich schließlich im Schloss, das schon nach wenigen Sekunden nachgab. Die Tür schwang auf und Ondragon schlüpfte in die noch schwärzere Finsternis des Hauses. Nachdem er die Tür wieder geschlossen hatte, knipste er eine winzige Diodenlampe mit einer kleinen Gummischlaufe an, die er sich über seinen Zeigefinger streifte.
Im bläulich matten Schimmer der Lampe kontrollierte er zuerst, ob die Vorhänge tatsächlich alle geschlossen waren und begann anschließend, sich im Wohnzimmer umzusehen. Beinahe zaghaft ließ er den Lichtschein über die Möbel und Gegenstände gleiten, die sich darin befanden. Eine durchgesessene braune Couch, ein niedriger Tisch davor mit einer Vielzahl dunkler Ringe auf der Holzplatte, die wohl von gut gekühlten Flaschen oder Dosen herrührten. Gegenüber der Couch stand ein teurer Sony-Flachbildfernseher mit Blu-ray-Player. Hier hatte Tyler Ellys sich was gegönnt.
Der Lichtschein huschte weiter. Über dem Fernseher hingen drei gerahmte Fotos. Eines zeigte Ellys mit GI-Bürstenhaarschnitt, roten Wangen und blauen Augen. Sein muskulöser Körper steckte in einem Hawaiihemd. Im Hintergrund war ein Strand mit Palmen zu erkennen. Ellys hielt grinsend einen Cocktail in der Hand und hatte den anderen Arm um einen blonden Mann gelegt. Das nächste Bild war ein weiterer Klassiker der amerikanischen Hobbyfotografie und durfte in keinem Wohnzimmer fehlen: Ellys mit einer Angel und einem Mörderbrocken von Fisch am Haken, Sonnenbrille auf der Nase und Zigarre im Mundwinkel. Ondragon fragte sich, wo man hier in der Wüste wohl den nächsten Fisch fing. Auf dem dritten Foto waren wieder Ellys und der blonde Typ abgebildet. Mit orangefarbenen, überdimensionalen Cowboyhüten auf dem Kopf und so vielen glitzernden Mardi-Gras-Ketten um den Hals, dass sie den Massaifrauen in Afrika Konkurrenz machten, grinsten sie ganz offensichtlich angetrunken in die Kamera. Na, das war ja ein richtiger Prachtbursche!
Ondragon leuchtete das Regal neben den Bildern ab und pfiff leise durch die Zähne, als er an die tausend DVDs entdeckte. Das war mal eine Bibliothek nach seinem Geschmack. Sonst gab es nicht viel in dem Zimmer, nur ein nagelneues Dolby-Surround System, wie Ondragon es selbst zu Hause hatte, rundete das Bild eines Filmliebhabers ab. Was für ein Glück für ihn, dass der Typ keine Bücher sammelte! Aber das hätte er bei einem Mailman auch nicht erwartet.
Eine Weile ließ Ondragon den Raum auf sich wirken. Eigentlich machte er nur sehr ungern Hausdurchsuchungen. Der Grund dafür war jedoch nicht nur seine Angst vor einer etwaigen Begegnung mit dem verhassten Papierprodukt, er fühlte sich auch jedes Mal wie ein Einbrecher, selbst wenn er dabei nichts entwendete. Die privaten Sachen eines Menschen zu durchwühlen hatte etwas Erniedrigendes. Nichtsdestotrotz musste Ondragon des Öfteren in den sauren Apfel beißen. Schließlich versprach das Motto seines kleinen Unternehmens, jedes, aber auch wirklich jedes Problem zu lösen. Folglich musste er sich auch daran halten. Außerdem wusste er, dass er neben vielen anderen Talenten auch eine besondere Gabe dafür besaß, Störungen in Mustern zu erkennen, und sei es auch nur das kleinste Pixel, das
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