One: Die einzige Chance (German Edition)
Fisch und menschlichen Ausdünstungen, den konnte er nicht ausblenden. Dieser Geruch fraß sich durch jeden Filter, saugte sich an Kleidungsstücken fest und verstopfte die Poren der Haut, die sich mit Pusteln und Ekzemen dagegen wehrte. Bei Smog musste man sich die dünne Staub- und Dreckschicht zweimal am Tag vom Leib schrubben. Früher oder später fand man sich trotzdem in der Queen’s Road wieder, um sich einer kostspieligen Laserbehandlung zu unterziehen. Nur bei Starkregen roch die Luft nicht nach Essen und Abgasen. Doch sobald man einen Tropfen in dem Mund bekam, explodierten die widerlichen Ausscheidungen der Millionenmetropole auf der Zunge und man musste unwillkürlich würgen.
Der Beat wurde lauter. Samuel trank zwei Tequila-Shots und fühlte sich besser, erleichtert, zuversichtlicher. Morgen, nein jetzt, korrigierte er sich in Gedanken, beginnt dein neues Leben.
»Das musst du aufnehmen!«, rief er über die Musik hinweg. Er hatte sich eine dicke Cohiba angesteckt und versuchte nun, möglichst cool an der Zigarre zu ziehen. Insgeheim fühlte er sich jedoch mehr wie ein Kind, das noch am Rockzipfel seiner Mutter hing, und nicht wie die käferartigen Geschäftsmänner, die er imitieren wollte. »Los, mach schon«, sagte er paffend und ungeduldig.
»Ich nehm aber nicht alles auf, was du heute Nacht noch treibst.« Widerwillig zog der schwarzhaarige Junge gegenüber sein Handy heraus. Samuel setzte sich breitbeinig hin und machte ein grimmiges Gesicht. Für einen kurzen Moment wurde ihm die Lächerlichkeit seines Auftritts bewusst. Sein Vater, Vince , mit einem scharfen, zischelnden S, wie er ihn im Streit immer nannte, würde ihn hassen, wenn er ihn so sehen könnte. Mit Geld anzugeben war etwas, das er zutiefst verabscheute. Genau wie überflüssigen Kommerz und überteuertes Essen, wobei unter diese Rubrik so ziemlich jedes Essen fiel, das es nicht für ein paar Dollar an der Garküche um die Ecke zu kaufen gab.
Aus dem Augenwinkel bemerkte Vincent, wie sich der Vorhang aufbauschte, aber der Luftzug brachte kaum Abkühlung. Mit einem tiefen Seufzer kommentierte er das Quietschen der Terrassentür. Wie oft musste er Emilia denn noch erklären, dass es auf der Insel genügend Tiere gab, die nur auf so eine Gelegenheit warteten? Die Wildhüter kamen ja kaum noch hinterher, ungebetene Besucher von der Siedlung fernzuhalten. Vincent wollte mal Emilias Gesicht sehen, wenn sie beim Kochen von einer Fünf-Meter-Python überrascht wurde. Sie bekam ja schon Panik, wenn eine harmlose Spinne ihren Weg kreuzte.
»Der Kater«, würde sie morgen antworten, wenn er sie auf die Tür ansprach. Immer der alte Kater. Gut, ermahnte er sich. Ganz unrecht hatte sie ja nicht. Seit ein paar Wochen hatte Badawi aus irgendeinem Grund Schwierigkeiten, den elektronischen Mechanismus für die Katzenklappe zu betätigen, aber deshalb die Tür offen zu lassen, war auch keine Lösung.
Ein Schatten, groß wie ein Tiger, huschte über den zitternden Vorhangstoff und blieb stehen. »Die Tür ist offen«, wollte Vincent schon rufen, ließ es aber sein. Wahrscheinlich wäre es das Beste, Badawi nachts im Haus zu behalten. Die Zeiten, in denen er noch auf Beutejagd ging, waren ohnehin vorbei.
Vincent drückte einen Schalter. Der Strahler auf der Veranda war mit einem Infrarotsensor gekoppelt. Jetzt war er deaktiviert, das Licht erlosch und mit ihm verschwand auch der Schatten. Ein Schleifen, ein Tapsen, dann hörte man, wie der Vorhang über die Dielen strich. Badawi schlich träge herein. Er humpelte um den Schreibtisch herum und hob den buschigen Kopf. Aus trüben Katzenaugen starrte er Vincent an. Dämlich, aber auch irgendwie vorwurfsvoll, gerade so, als wollte er Vincent zu verstehen geben, dass sein Verhalten lächerlich war. Es war das eines sechzigjährigen Mannes, der nicht damit klarkam, dass der Sohn die Ratschläge seines ach so weisen Vaters in den Wind schlug. Badawi ließ sich auf dem Teppich vor dem Sekretär nieder, rollte sich zusammen und schlief im selben Moment ein. Vincent lächelte schwach. »Du hast es gut. Musstest nie Entscheidungen treffen. Tage kommen und gehen, und dir ist es vermutlich scheißegal.«
Scheißegal. Vincent musste schmunzeln. Wann hatte er dieses Wort das letzte Mal gehört, geschweige denn gesagt? Es musste ewig her sein. Vielleicht in seiner Jugend. Als seine Adoptiveltern unbedingt wollten, dass er auf ein Konservatorium ging, um Konzertpianist zu werden. Rebelliert hatte er, war
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