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One: Die einzige Chance (German Edition)

One: Die einzige Chance (German Edition)

Titel: One: Die einzige Chance (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Elsäßer
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erkennen. Was war das? Hatte jemand ein Kind ausgesetzt? Drehte er jetzt durch? Wieder der Schrei, dieses Mal kläglicher. Mehrmals hintereinander und aus der Richtung kommend, wo er vorhin das Auto gehört hatte. Dann war es wieder still. Kayan beschleunigte seine Schritte. Er war aufgebracht. Sein Herz raste. Er stolperte über einen toten Ast und wäre beinahe gestürzt. Im letzten Moment konnte er sich fangen und lief weiter, obwohl er am liebsten weggerannt wäre. Die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos schossen durch die Lücken der Bäume und blendeten ihn. Als sich seine Pupillen wieder geweitet hatten, sah er neben dem Pfad eine Gestalt. Eine Katze, die von heftigen Krämpfen geschüttelt wurde. Sie schrie. Sie wand sich auf dem Nadelboden, um im nächsten Moment zu erstarren und für einige Sekunden apathisch dazusitzen. Sie schien ihn nicht zu bemerken. Kayan ging in die Hocke. Sie musste Höllenschmerzen haben. »Diese Schweine!«, brüllte er in die Nacht. »Entsorgen ihre Tiere wie Hausmüll!« Kayan begann zu zittern. Er fühlte sich dem Anblick der leidenden Kreatur nicht gewachsen. Was sollte er bloß tun? Er konnte das Tier doch nicht so sterben lassen. Nicht unter diesen Qualen. Jeder hatte das Recht auf einen würdevollen Tod. Auch ein Tier. Kayan zog den Wagenschlüssel aus der Hosentasche und löste die Zentralverriegelung aus. Wie er es gedacht hatte, war er nur noch etwa zehn Meter vom Parkplatz entfernt. Die Scheinwerfer erhellten kurz die Dunkelheit und Kayan sah in die Augen der Katze. Große runde Pupillen. Keine Schlitze. Das Tier begann zu wimmern. Ein Klacken und die Scheinwerfen erloschen. Kayan tastete nach seiner Pistole. Er zog sie heraus, erhob sich und richtete den Lauf auf das Köpfchen, dann drückte er ab.

    »Ist es noch weit?«, fragte Samuel. Sie hatten die letzten Kilometer geschwiegen. Selbst als ihm Fabienne das Handy mit den genauen Koordinaten seines Vaters entgegengestreckt hatte, hatte er nur mit einem Nicken reagiert. Vielleicht war es falsch gewesen, Badawi ziehen zu lassen. Vielleicht hätte er ihn erlösen sollen. Ein Schuss. Ein einziger Schuss. Vielleicht war das die Aussage seines quälenden Albtraums der letzten Monate gewesen: Erlöse mich, wenn es so weit ist. Lass mich nicht elendig verrecken. Nimm mir den Schmerz. Aber Samuel hätte es nicht gekonnt. Er hätte nicht schießen können. Nicht auf seinen besten Freund. Nicht auf Badawi.
    »Wie’s aussieht, müssen wir nachher noch ein paar Kilometer gehen, dein Vater ist uns etwa eine Stunde voraus«, sagte Fabienne mit gedämpfter Stimme und legte ihre Hand auf seinen Oberschenkel. »Es war richtig, was du getan hast. Badawi ist dir dafür dankbar. Glaub mir.«
    Samuel musste schlucken. »Woher willst du das wissen?«
    »Ich hab schon viele Tiere sterben sehen. Mein Vater hat immer abends in seinem Arbeitszimmer eine Kerze angezündet, wenn eines in seiner Praxis gestorben ist. Das Einschläfern hat ihn fertiggemacht. Trotzdem war er der Meinung, dass man mit schwer kranken Tieren besser umgeht als mit Menschen.«
    »Und wenn er sich quält?« Samuel senkte den Blick. »Vielleicht hätten wir ihn doch erlösen sollen.«
    »Er hat sich davongeschleppt. Er wollte nicht, dass du ihm dabei zusiehst.« Sie legte ihre Hand auf seine. »Du hast alles richtig gemacht.«
    »Ist mein Vater wirklich ein Genie, wie du vorhin in der Bank gesagt hast?« Samuel rieb sich die Tränen aus den Augen und versuchte, die trüben Gedanken zu verdrängen.
    »Er hat sehr weit in die Zukunft geschaut. Zusammen mit den anderen aus dem Zirkel hat er großartige Thesen aufgestellt. Thesen, die sich nach und nach so bewahrheitet haben.«
    »Du meinst die Bankenkrise und das geteilte Europa?«
    Fabienne nickte. »Den Geldfluss und die Verteilung. Die Entwicklung des Arbeitsmarkts. Den Aufstieg Chinas, die Überschuldung einiger Staaten. Es gab natürlich nicht nur eine Version, aber die von One , die Version des ersten Spiels, spiegelt sehr genau den Status wider, den wir jetzt haben.«
    »Nur ist dieses Spiel nicht von meinem Vater«, sagte Samuel. »Das muss dieser Weinfeld arrangiert haben, wenn Marietta von Dahlem davon auch nichts wusste. Aber wieso war er kein Teil der Gruppe?«
    Fabienne zuckte mit den Schultern und nahm ihre Hand weg. »Das kann uns wohl nur dein Vater beziehungsweise Weinfeld selbst erklären.« Sie schaute ihn forschend an. »Du und dein Vater …«, fuhr sie vorsichtig fort, »ihr habt euch nicht gut

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