Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
One: Die einzige Chance (German Edition)

One: Die einzige Chance (German Edition)

Titel: One: Die einzige Chance (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Elsäßer
Vom Netzwerk:
war eine Foltermethode. Samuel stieg mit dem Kater im Arm vorsichtig aus. In Fabiennes Gesicht konnte er ablesen, dass sie nichts mehr für den Kater tun konnten. Sein Herz zog sich krampfhaft zusammen. Das Schnaufen wurde immer schwerer. In Badawis Augen spiegelte sich nichts weiter als Schmerz und das Flehen nach Erlösung.
    »Er stirbt«, sagte Samuel und strich Badawi über das Köpfchen. Tiere können nicht lächeln, Tiere können ihre Mimik nicht verändern. So sagte man doch. Aber Badawi stand der Schmerz ins Gesicht geschrieben. Da war kein Leben mehr. Da war nur noch die Sehnsucht nach dem Ende. Dem Tod. Nachdem er zwei Leben verbraucht hatte. Samuel befeuchtete seine Finger mit etwas Wasser und hielt sie Badawi vor das Schnäuzchen, doch der Kater trank nicht.
    »Mach was!«, sagte er zu Fabienne. »Mach irgendetwas. Er hat Schmerzen.«
    Fabienne öffnete die Fahrertür und stieg zurück in den Wagen. Sie schien etwas zu suchen. Badawi wollte nicht trinken. Er wollte sterben. Jetzt. Und dann tat er etwas Seltsames. Er fuhr seine Krallen aus und kratzte Samuel über den Arm, als wollte er abhauen, als würde er mit letzter Kraft versuchen, von hier wegzukommen. Ja, vielleicht wollte er nicht vor Samuels Augen sterben, sondern draußen in der Natur. Alleine. Ohne dass ihm jemand dabei zusah. Das war sein gutes Recht.
    Samuel setzte ihn vorsichtig auf den Boden. Sein Fell war warm und feucht. Badawi war in der Schweiz geboren worden. Vielleicht sogar ganz in der Nähe. Wahrscheinlich sagten seine Instinkte ihm, dass hier seine Reise begonnen hatte. Er war heimgekehrt. Vincent hatte ihn nach einer Geschäftsreise als Katzenbaby über die Grenze geschmuggelt. Diese Geschichte hatte seine Mutter immer an Heiligabend erzählt. Wenn es etwas gab, auf das sie bei seinem Vater stolz war, schien es dieses Geschenk zu sein, denn eigentlich machte Vincent sich nicht viel aus Haustieren.
    »Es tut mir leid«, sagte Fabienne mit dünner Stimme, als sie wieder neben ihm stand.
    »Ich glaub, er will nicht, dass wir ihm dabei zusehen«, antwortete Samuel mit tränenerstickter Stimme.
    »Ich wollte auch nicht, dass mir jemand beim Sterben zusieht.« Sie streckte Samuel die Pistole hin. »Du solltest ihn erlösen. Er quält sich.«
    Samuel schüttelte den Kopf. Die Sicht verschwamm vor seinen Augen. »Ich … ich kann das nicht. Mach du.«
    »Ich kann das auch nicht.«
    Badawi wandte noch einmal seinen Kopf, wie zum Abschied, dann schleppte er sich mit letzter Kraft über einen schmalen Pfad hinein in den Wald. Die Finsternis schluckte seine Umrisse und bedeckte sie mit einem Tuch aus schwarzem Samt. Ein paar Minuten standen sie schweigend nebeneinander. Samuel starrte auf den Punkt, wo er Badawi das letzte Mal gesehen hatte. Dort war nur noch Dunkelheit.
    »Willst du noch hierbleiben?«, brach Fabienne die Stille.
    »Nein.« Samuel wischte sich die Tränen aus den Augen. Fabienne nahm ihn in die Arme. Auch sie weinte. »Er ist zurückgekehrt nach Hause«, sagte Samuel so leise, dass er nicht wusste, ob er sich den Ton zu seinen Worten nur dachte.

Fünf
    Wald | 22 Grad | Bewölkt
    Kayan war sich sicher, etwas gehört zu haben. Ein Geräusch, das nicht aus der Natur kam. Er horchte in die Dunkelheit. Ein hoffnungsvolles Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Auf das Zuschlagen von Autotüren folgte der krächzende Anlasser eines Motors, der schon bessere Zeiten gesehen hatte. Ein zweites Mal und der Zündfunke sprang über. Ein schweres Geräusch, eine große Maschine. Fünf, vielleicht sogar sechs Liter Hubraum. Mit Autos kannte er sich aus. Über die Jahre hatte er sich einen kleinen Fuhrpark angeschafft, die meisten davon Oldtimer. Erst neulich einen silbernen VW-Porsche aus den 1970er Jahren, den er in seiner Freizeit restaurieren wollte. Diese Wagen waren eine hervorragende Geldanlage, noch besser als Gold.
    Das Brüllen von acht Zylindern erstickte den unruhigen Schlaf des Waldes. Wie eine Fledermaus versuchte Kayan, die genaue Richtung zu orten, dann lief er los. Als hätte Gott sein Flehen erhört, stach der Mond durch eine Lücke in den Wolken und beschien den Pfad, seinen Pfad, das Ende seiner nächtlichen Odyssee. Obwohl sich das Geräusch entfernte, wusste er nun, dass er wieder zurückfinden würde.
    Er beschleunigte seinen Gang, als er plötzlich einen gellenden Schrei hörte. Es klang wie der Schrei eines kleinen Kindes. Kayan blieb wie angewurzelt stehen und starrte in die Finsternis, ohne etwas zu

Weitere Kostenlose Bücher