One: Die einzige Chance (German Edition)
nächsten Monat über die Runden kommst. Ohne finanziellen Druck kann man sich vielem entziehen.«
»Ich mache dir und den anderen keine Vorwürfe. Wenn du zu dem stehst, was du tust, ist das völlig in Ordnung. Keiner von euch wollte als Märtyrer für eine gerechtere Welt in die Geschichtsbücher eingehen.«
»Im Gegensatz zu dir«, sagte Vincent mit bissigem Unterton.
»Gemeinsam mit den richtigen Leuten hätte es unser schüchterner Haufen zu etwas bringen können«, gab Weinfeld zu bedenken. »Aber schauen wir mal, was als Nächstes passiert. Einige unserer Ideen kann man ja fast eins zu eins in die heutige Zeit übertragen.«
»Aber woher sollten diese Leute unsere Aufzeichnungen haben? Keiner von uns würde sie rausgeben. Wir haben uns dazu verpflichtet.«
»Nicht jeder hält sich an Absprachen.«
»Hast du die anderen auch informiert?«
»Das überlasse ich dir. Schließlich sind es eure Pläne und ich gehöre ja nicht mehr dazu. Hast du sie zu Hause?«
»Nein. Wir haben sie nach unserem letzten Treffen weggeschlossen.«
»Eurem letzten Treffen? Das klingt nicht gerade, als würde es Jahrzehnte zurückliegen.«
»Nein.«
»Wusste ich’s doch! Ihr habt daran weitergearbeitet. Respekt. Ist wohl gar nicht so einfach, tatenlos zuzusehen, wie alles in Europa den Bach runtergeht, wenn man die Alternativen kennt.«
»Ich habe nur ein paar neue Parameter gefunden, die ich zur Diskussion stellen wollte. Sie als Alternative zu bezeichnen, halte ich für reichlich übertrieben. Das ganze One -Szenario ist und bleibt eine Utopie, nichts weiter. Eine Gleichung, die nicht aufgeht, weil sie an der Demokratie scheitert.«
»Es wäre ein kleiner Krieg, um einen großen zu verhindern. Ihr wisst es und schaut tatenlos zu. Das ist ein großer Fehler. Irgendwann lassen sich die Leute nicht mehr an der Nase herumführen. Und dann wird alles noch viel schlimmer. Dann werden sie den Sündenbock in Minderheiten suchen, sich auf Zuwanderer stürzen und ums nackte Überleben kämpfen.«
»Du warst immer schon ein Anhänger von Untergangsfantasien.« Vincent hörte, wie Weinfeld an seiner Zigarette zog und den Rauch am Hörer vorbeiblies. Früher wäre Kaspar nach so einer Bemerkung ausgerastet. »Hat Marietta auch an den neuen Ideen mitgearbeitet?«, nuschelte Weinfeld jetzt.
»Ja, wieso fragst du?«
»Weißt du es noch nicht?« Weinfeld machte eine Pause. »Sie … sie ist tot.«
»Was?« Der Hörer zuckte in Vincents Hand, als hätte er einen Stromschlag bekommen.
»Man hat sie letzte Woche vor ihrem Institut im Silicon Valley niedergeschossen. Anscheinend hatte es der Typ auf ihren Wagen abgesehen.«
»Aber das glaubst du nicht? Du glaubst, dass es etwas mit One zu tun hat.«
»Keine Ahnung.«
Vincent spielte mit dem Gedanken, Weinfeld von den seltsamen Anrufen zu erzählen und den Memos, die ihn letztes Jahr über das gesicherte Intranet eines Auftraggebers erreicht hatten. Ein Praktikant aus Spanien wollte ihn für das Firmenmagazin zu seiner Arbeit befragen, hatte sich aber danach nie wieder gemeldet. Ein anderes Mal hatte ihn eine junge Frau auf einem Kongress angesprochen und behauptet, dass sie durch seine Diplomarbeit zum Thema Nullwachstum auf ihn aufmerksam geworden sei. Doch diese Diplomarbeit hatte Vincent nach dem Beginn seiner Karriere verschwinden lassen, um sich keine Steine in den Weg zu legen.
»Marietta ist nach Amerika ausgewandert?«, murmelte Vincent vor sich hin. »Sie … sie hatte gegen dieses Land doch immer Vorbehalte.«
»Am Ende muss man eben auch mal Kompromisse eingehen, um seine Ideen voranzutreiben. Nicht wahr? Hast du noch oder besser gesagt wieder Kontakt zu Reinhard?«
»Nein«, sagte Vincent entschieden.
»Lebt er nicht mehr bei dir in der Nähe?«
»Kann sein.«
»Du hast ihm die Sache mit Anna noch immer nicht verziehen, hab ich recht?«
»Egal.«
»Jedenfalls solltest du als Experte erkennen, dass genau das eingetreten ist, was wir damals befürchtet haben. Es wäre also jetzt der richtige Zeitpunkt, One dem entfesselten Kapitalismus entgegenzustellen und Alternativen aufzuzeigen. Vielleicht können wir uns mit den Leuten kurzschließen, bevor sie die Welt in Angst und Schrecken versetzen. Jugendlicher Übermut alleine reicht nicht, um diese Schlacht zu gewinnen.«
»Ich will damit nichts zu tun haben«, sagte Vincent scharf. »Selbst wenn sie, wie auch immer, an Bruchstücke unserer Idee gekommen sind. Ohne den gesamten Plan zu kennen, werden sie es nicht weit
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