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One: Die einzige Chance (German Edition)

One: Die einzige Chance (German Edition)

Titel: One: Die einzige Chance (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Elsäßer
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bringen. Sie werden höchstens wegen Volksverhetzung im Gefängnis landen.«
    »Ist es dir wirklich so egal, was im Augenblick passiert?«
    »Der Markt wird sich wieder beruhigen, sobald der Computerhandel besser reguliert ist und die Handelsplätze endlich einem einheitlichen Standard zustimmen. Es ist eine Umbruchphase in einer schwierigen Zeit. Die Regierungen haben zu lange an die Selbstheilungskräfte des Marktes und die Vernunft der Menschen geglaubt und untätig zugesehen, wie sie ausgenommen wurden. Jetzt müssen sie schauen, wie sie das Chaos neu ordnen, ohne das Kapital aus ihren Ländern zu treiben. Aber nach dem Bruch ist die schwerste Krise überstanden. Wenn Großbritannien einlenkt, wird es wieder aufwärtsgehen.«
    »Da bin ich anderer Meinung. Wenn du mir deine geheime Mailadresse gibst, schicke ich dir nachher ein paar Links. Vielleicht kann dich das überzeugen, dass die Leute, die One gefunden haben, mehr sind als ein paar idealistische Spinner.«
    »Tu das.«
    »Wann bist du denn mal wieder in der Heimat?« Seine Stimme klang plötzlich weicher. Dieser Mann hatte zwei Seiten. Er konnte sanft und einfühlsam sein und im nächsten Moment wegen einer Kleinigkeit an die Decke gehen und einen aufs Übelste beschimpfen. »Bankentürme sehen doch überall gleich aus.« Weinfeld deutete ein Lachen an.
    Vincent zuckte kurz zusammen. Heimat war ein Wort, das er vor langer Zeit aus seinem Wortschatz verbannt hatte.
    »Momentan ist viel zu tun. Die Firmen wollen ständig mit neuen Prognosen versorgt werden. Aber …« Vincent zögerte. Er betrachtete die beiden Geschenke auf dem Tisch. Das Buch mit den vergilbten Seiten hatte er von seinem Vater zum achtzehnten Geburtstag bekommen. Ob sich Samuel darüber freuen würde? So sehr, wie er selbst sich damals gefreut hatte? »Mein Sohn«, sagte er, gefolgt von einer Pause. »Er fliegt morgen nach Frankfurt und dann weiter nach London, zu Anna.«
    »Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn er mir einen Besuch abstattet. Ich verspreche dir auch, ihn nicht mit revolutionärem Gedankengut gegen dich aufzuwiegeln. Natürlich kann er hier übernachten. Ich schicke dir nachher die Kontaktdaten.«
    »Er hat seinen eigenen Kopf.«
    »Gib sie ihm trotzdem.«
    »Gut.«
    »Wenn ich dich um etwas beneide, dann darum, dass du ein Kind hast. Wie alt ist Samuel jetzt? Sechzehn? Siebzehn?«
    »In wenigen Tagen wird er achtzehn und lässt sich nichts von seinem Vater sagen.«
    »Ist er auch so ein unansehnlicher Mathe-Nerd wie du?«
    »Nein. Zum Glück hat er die Gene von Anna bekommen. Er spielt Klavier und macht tolle Fotos, will sein Talent aber trotzdem lieber an die Wirtschaft verschwenden und BWL studieren, anstatt etwas auszuprobieren.«
    »Sag bitte nicht, du wirfst deinem Sohn vor, dass er derselben Faszination für die Wirtschaft erliegt wie der eigene Vater? Das wäre lächerlich.«
    »Mich stört nur, dass er nichts hinterfragt. Heute preschen die jungen Leute mit Vollgas durchs Leben. Machen Universitätsabschlüsse ohne Rebellion, ohne Auflehnung gegen ein System, das Konsum und Wachstum im selben Atemzug mit Glück nennt. Er nimmt alles als gegeben hin. Ist ständig auf Partys und kauft, wozu er Lust hat, wenn ich ihn nicht bremse. Manchmal denke ich, dass es ein Fehler war, ihn immer auf diese Privatschulen zu schicken. Ein Elternabend mit der scheinbaren Elite und du wunderst dich über gar nichts mehr.«
    »Es ist nie zu spät für einen Neubeginn«, sagte Weinfeld halb im Scherz. »Du kannst deinem Sohn nicht vorwerfen, dass er dich nicht versteht. Hast du ihm von früher erzählt? Was für ein aufmüpfiger Kerl du gewesen bist?«
    »Nein.«
    »Warum nicht? Willst du ihn nicht auf falsche Gedanken bringen?«
    »Es ist …« Vincent stockte. Er wusste es selbst nicht so genau. Vermutlich hatte er Angst vor den Fragen. Wie erklärt man dem Sohn, die eigenen Ideale aus Feigheit gegen einen gut dotierten Job eingetauscht zu haben?
    »Du hast Angst, dich rechtfertigen zu müssen, hab ich recht?« Weinfeld legte den Finger zielsicher in die Wunde. Sie schwiegen eine Weile. Vincent zerknüllte den Brief und zog ein neues Blatt heraus. Wieder hörte er das Geräusch. Er stand auf, klemmte sich den Hörer unters Kinn und griff nach dem Gewehr. Vielleicht war es ja sogar noch geladen. Er konnte sich nicht genau daran erinnern, wann er es zuletzt hervorgeholt hatte.
    »Bist du noch dran?«, fragte Weinfeld.
    »Ja.« Vincent horchte gebannt nach draußen. Er wollte

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