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One: Die einzige Chance (German Edition)

One: Die einzige Chance (German Edition)

Titel: One: Die einzige Chance (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Elsäßer
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also keine andere Wahl, als dich rauszuschmeißen.«
    »Du übertreibst. Ich habe an uns geglaubt. Das war nicht aus Trotz oder Eitelkeit, wie du mir immer vorgeworfen hast. Ihr habt an den alten Regeln des Wirtschaftskreislaufs festgehalten, obwohl ihr gewusst habt, dass sie falsch sind. Das ging mir einfach nicht runter. Mit einer guten Strategie wäre es schon damals möglich gewesen, eine Entwicklung anzustoßen. Aber ihr wart zu feige. Vielleicht würden heute schon Volkswirtschaften existieren, die nicht um jeden Preis auf Wachstum setzen und die Folgen für den schwächeren Teil der Welt unter den Tisch kehren.«
    »Jetzt übertreibst du.«
    »Jedenfalls sind die Leute, die One zurückgeholt haben, nicht so zimperlich wie wir damals. Sie geben sich nicht mit ein paar Gleichungen und schön formulierten Sätzen zufrieden. Sie wollen es wissen.«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Verfolgst du denn nicht die Nachrichten?«
    »Natürlich tu ich das.«
    »Dann achte mal auf die vielen Stromausfälle, die in den letzten Wochen gemeldet wurden, und auf die Reihenfolge der Anschläge. Hast du von dem neuen Virus gehört, der die Lobbyisten-Meute hat auffliegen lassen? Man konnte ihren Mailverkehr live auf sämtlichen Videoboards mitverfolgen. Das war großartig. Diejenigen, die One benutzen, haben uns gegenüber einen großen Vorteil: Sie können die Welt aus den Angeln heben, nur indem sie irgendwo vor einem Rechner sitzen. Aber wem erzähle ich das. Das ist ja dein täglich Brot.«
    »Ich analysiere nur Zahlen.«
    »Tun das nicht alle Mächtigen?«
    Vincent schwieg einen Augenblick. Das Knacken war näher gekommen. Er löschte das Licht. Er wollte das Tier nicht auch noch anlocken. Zumindest nicht, solange er unbewaffnet war.

    Samuel kippte den Long Island Ice Tea hinunter. Der starke Alkohol verdrängte den schalen Geschmack in seinem Mund. Er hasste Abschiede. Er blickte in die Runde. Seine Freunde lachten und tanzten ausgelassen. Als Kind hatte er sich immer Lügengeschichten einfallen lassen, wenn er neu in die Klasse kam. Er wollte sich interessant machen. Wenn man interessant war, fand man schneller Freunde, das hatte er gelernt. In Hongkong hatte er nicht gelogen. Warum auch immer. Wahrscheinlich wollte er den Unterschied spüren, wie es sich anfühlte, nur er selbst zu sein, ohne die wahnwitzigen Kindergeschichten, die irgendwann sowieso aufflogen. Ohne Maske hatte er richtige Freunde gefunden. Doch richtige Freunde machten den Abschied noch schwerer. Samuel fragte sich, welche Gesichter er schon bald wieder vergessen haben würde. Kontakt halten. Wie oft hatte er sich das vorgenommen? Und wie oft war dieses Vorhaben gescheitert? Noch einen Cocktail und er begann zu tanzen. Er war ein guter Tänzer. Der Balken auf seinem Armband stieg an. Mehr als zwanzig Augenpaare waren auf ihn gerichtet. Kata hielt ihr Armband neben seines und lachte. Bei ihr waren es fünfzig.
    »Ich liebe nur dich, schöner Mann«, sagte sie, schlang ihre Arme um seine Hüften und küsste ihn. Jeder sollte sehen, dass sie zusammengehörten. Vier Jahre hatte er in dieser Stadt verbracht. Vielleicht war es seine eigene Schuld, dass er sich immer noch fremd fühlte. Vielleicht war es auch die Stadt selbst, die es nicht zuließ, dass man sie mochte. Schnappschüsse, Momentaufnahmen, nichts für die Ewigkeit. Das Klirren der Gläser, die über den Tresen geschoben wurden, das Hämmern der Musik. Cocktail Nummer drei und die Gewissheit, dass sich Abschiedsschmerz nicht betäuben lässt. Vielleicht sollte er sich ein Tattoo stechen lassen. Eines, das wehtat. Nicht für die Stadt, sondern nur für seine Freunde.
    Die Musik, mehr Geräusch als Melodie, mehr Maschine als Mensch, peitschte die schlanken Körper vor sich her. Und mitten in dem Nebel aus Soundschnipseln und Lichtreflexen bahnte sich in Samuels Kopf ein Gedanke den Weg an die Oberfläche. Er würde nicht zurückkehren. Sein Vater hatte recht. Er würde diese Stadt für immer verlassen.

    »Nicht jeder hat das Glück, aus einer reichen Familie zu kommen«, sagte Vincent mit zusammengebissenen Zähnen und horchte nach draußen. Das Geräusch war verstummt. Heute kommst du wohl noch mal davon , sagte er in Gedanken, stand aber dennoch auf und holte das Gewehr aus der Vitrine. Weinfeld redete weiter. Er war immer noch derselbe arrogante Sack von damals. Vincent verspürte große Lust, ihm das bei dieser Gelegenheit endlich zu sagen. »Du musstest dich nicht darum sorgen, wie du den

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