One: Die einzige Chance (German Edition)
Kunde sind, müssen Sie sich langsam entscheiden. Über der Börse ziehen dunkle Wolken auf und die Leute suchen nach sicheren Anlagemöglichkeiten. Ein zweites Zypern und das schöne Ersparte ist weg. Sie müssen sich also beeilen.«
Kayan hasste die billige Verkäuferrhetorik. Und er konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn man ihn unter Druck setzte, aber bei den Hiobsbotschaften, die gerade von den Finanzmärkten kamen, spürte er seine Gelassenheit schwinden. Zwar hatte er auch in Gold und Rentenpapiere investiert, aber sein deutsches Konto war trotzdem gut gefüllt. Vielleicht zu gut. »Wie viel, haben Sie gesagt?«
»2,6 Millionen, inklusive fünfzehn Tiefgaragenstellplätze. Das ist bei der derzeitigen Marktlage immer noch ein Schnäppchen.«
»Und was ist mit den jetzigen Pächtern des Restaurants?«
»Sind so gut wie draußen. Die Anwaltskosten gehen natürlich aufs Haus.« Das schäbige Lächeln des Maklers war förmlich durch die Leitung zu hören. »Gerne können Sie die Anzahlung in bar leisten, wenn Ihnen das recht ist.«
»Wie entgegenkommend. In ein paar Tagen habe ich bei Ihnen in der Gegend zu tun, dann könnten wir die Sache fix machen.«
»Darf ich das als Zusage verstehen?«, vergewisserte sich der Makler.
»Ja, das dürfen Sie.«
»Ist es Ihnen vielleicht möglich, mir den Auftrag schriftlich zu bestätigen?«
Kayan holte tief Luft. »Wenn ich mich nicht täusche, habe ich Ihnen bereits drei Immobilien abgekauft.«
»Dieses Mal ist es anders. Die Leute spielen verrückt, verstehen Sie? Sie spüren, dass die Krise mit voller Wucht zurückgekehrt ist, und suchen händeringend nach Wertanlagen, die ihnen nicht wie Sand durch die Finger rinnen.«
»Ich schicke Ihnen nachher ein Fax mit den Eckdaten. Genügt das?«
»Natürlich.«
Kayan stellte sich das Siegerlächeln seines Gegenübers vor. Er hasste es, zu verlieren. Doch dieses Mal hatte der Immobilienmakler die besseren Karten. In den Nachrichten redeten sie ständig davon, dass die Immobilienpreise explodierten. Sie sagten zwar auch, dass es eine Blase sei, die schon bald platzen könnte, aber das Restaurant befand sich in einer guten Lage. Und wenn er den Auftrag hinter sich gebracht hatte, wollte er gleich loslegen. »Oder warten Sie … Ich komme heute Abend noch vorbei«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Soll ich mich um den Notar kümmern?«, fragte der Makler mit einem triumphalen Unterton in der Stimme.
»Tun Sie das.«
Kayan legte auf, ohne sich zu verabschieden. Er zog den ledergebundenen Kalender aus dem Sakko und blätterte auf die Seite mit den Auftragsdaten. Die beiden verbliebenen Zielpersonen hatte er sich wie üblich in einer codierten Schrift, bestehend aus Zahlen und Buchstaben, notiert. Das große »V« vor der »1« bereitete ihm Sorgen. Der Buchstabe stand für das Wort »variabel«, was im Klartext hieß, dass er diese Zielperson innerhalb von achtundvierzig Stunden töten musste, egal, wo sie sich dann befand. Sobald er das Go bekam, begann der Countdown. Das »V« konnte aber auch noch etwas anderes, durchaus Erfreuliches bedeuten, vor allem für die Zielperson. Wer mit diesem Buchstaben versehen war, bekam in seltenen Fällen die Chance, dem Tod von der Schippe zu springen. Eine Mail oder SMS mit dem Wort »Exit« genügte. Selbst wenn sie in letzter Sekunde einging, hatte sich Kayan in so einem Fall dazu verpflichtet, den Finger wieder vom Abzug zu nehmen. Über einen Mittelsmann hatten sie das vertraglich geregelt. Das oberste Gebot lautete: kein direkter Kontakt zwischen ihm und dem Auftraggeber. Alles ging über verschlungene Pfade. Jede Mail, jede SMS und natürlich auch die Bezahlung durchlief mehrere Stationen. Treuhänder, Anwälte, Vertrauensleute. Sein richtiger Name und der seines Auftraggebers tauchten nirgendwo auf. Jeder war eine Nummer.
Die Todeszelle hatte sich also geöffnet und der Verurteilte wurde nicht darüber informiert, dass man seinen Fall neu verhandelte. Dafür stand das »V«. Ob es sich nur um die Verlängerung der Gnadenfrist handelte oder ob es tatsächlich einen generellen Freispruch gab, blieb selbst für Kayan ungewiss. Häufiger steckte hinter dem »V« das Wort Rache, »Vendetta«, wie es die sizilianische Mafia nannte. Ein paar Sachen mussten noch geregelt werden, ein paar Daten herausgepresst, deshalb der variable Zeitplan. Sein Gefühl sagte ihm, dass das windschiefe »V« mit der »1« dahinter diesmal den Tod bedeutete. Ohne Pistole.
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