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One: Die einzige Chance (German Edition)

One: Die einzige Chance (German Edition)

Titel: One: Die einzige Chance (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Elsäßer
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Satellitenempfang.« Kayan überholte den Mann im Schritttempo. Die Meldung »In Zu-Fuß-Modus umschalten?« wurde gegen die Innenseite der Windschutzscheibe projiziert. Kayan fluchte. Was war das nur für eine beschissene Nacht? Er hatte sich eben schon fast zu Tode erschrocken, als aus einem unerfindlichen Grund plötzlich in der ganzen Stadt die Kirchenglocken losgegangen waren.
    Das Gesicht des alten Mannes wurde fast völlig von einem weißen Bart verdeckt, der aussah, als hätten Ratten die Essensreste herausgeknabbert. Kayan ließ die Seitenscheibe herunter. Trug der Mann tatsächlich Shorts mit Fröschen drauf? Und an seinen Füßen, waren das Filzpantoffeln? Mit Löchern? Seufzend lenkte Kayan den Wagen an den Straßenrand und stieg aus. In der Ferne hörte er Sirenengeheul und Böllerschüsse. Die Straßenlaternen flackerten ein letztes Mal auf, bevor sie auf einen Schlag erloschen. Nur die Scheinwerfer seines Wagens und das rote Licht der geöffneten Fahrertür verhinderten, dass es völlig dunkel wurde.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Kayan und stellte sich dem Mann in den Weg. Der blickte ihn aus tief liegenden Augen an und sagte kein Wort. Sein Unterkiefer zitterte. Der Kopf schwankte von links nach rechts wie bei einem Elefanten, der in Gefangenschaft einen Hau bekommen hatte. Aus der spitzen Nase ragten kleine Haarbüschel. Die Wangenknochen drückten durch die Haut wie bei einem Menschen, der lange nicht mehr gegessen hatte.
    »Sie sind weg«, nuschelte der Mann mit dünner, weinerlicher Stimme. »Sie … sie kommen nicht mehr zurück. Was … was haben wir ihnen bloß getan?« Der Mann weitete die Augen, dann senkte er den Kopf und setzte zur Weiterfahrt an. Kayan machte einen Schritt zurück, griff mit beiden Händen um die Handgelenke des Mannes, stoppte ihn und sprach mit ruhiger Stimme: »Haben Sie sich verlaufen?«
    Der Mann hielt den Kopf gesenkt. »Ich will sie zurückholen. Wir brauchen sie doch, verstehen Sie? Wir brauchen Johanna, Pawel und Alicja doch.« Er wollte weiterfahren, doch Kayan wich nicht zur Seite.
    »Es ist alles in Ordnung«, sagte Kayan beschwichtigend und strich über die faltigen Hände. »Beruhigen Sie sich. Ich werde Sie zurück zu Ihren Freunden bringen. Wo sind Sie denn zu Hause?«
    »Geboren bin ich in Fredheim, in der Schulstraße.«
    »Ich meine, wo kommen Sie jetzt her?«
    Der Mann hob den Kopf und starrte Kayan verwirrt an. »Wo ich … Sie sind weg. Gegangen. Gestern Abend. Nach dem Essen.« Er wand seine Hand aus dem Griff und zeigte zum Ende der Straße. »Ich bin von da gekommen.«
    Der Mann war dement. Unmöglich konnte Kayan ihn hier zurücklassen. Er hatte Respekt vor alten Menschen. Seine Eltern hatte er gemeinsam mit seiner Schwester bis zu ihrem Ende gepflegt. Das war selbstverständlich gewesen. Vielleicht mochte er dieses reiche Land deshalb bis heute nicht so sehr wie Argentinien, weil man die alten Menschen abschob, sobald sie Probleme machten. Man hatte keinen Respekt vor ihnen und vor dem, was sie gesehen, erlebt und getan hatten.
    Kayans Handy zeigte immer noch keinen Empfang. Das Internet ging auch nicht. Er konnte weder die Polizei rufen noch herausfinden, wo sich in der Nähe das nächste Altenheim befand – und er musste zu seinem Termin. Er war jetzt schon spät dran. Kurzerhand verstaute er den Rollator im Kofferraum, wobei ein kleines Holzkästchen aus dem Korb fiel und klackernd auf dem Asphalt landete. Rasch nahm Kayan es auf und stellte es neben den Rollator. Dann hob er den Mann auf den Beifahrersitz und fuhr weiter.

Zwei
    Berlin | 22 Grad | Nieselregen
    Samuel zögerte. Was war die Alternative zu Fabiennes Vorschlag? Bei Fremden an die Tür zu klopfen und nach einer Übernachtungsmöglichkeit zu fragen, wenn sein Gesicht in Großaufnahme in den Nachrichten gezeigt wurde? In eine der Gartenlauben einzubrechen und zu hoffen, dass ihn niemand entdeckte?
    »Im Wald wird uns keiner begegnen.« Fabienne schaute auf das Display, dann wieder zu ihm. »Bitte.«
    »Ich dachte, das GPS ist gestört«, sagte er misstrauisch.
    »Deshalb nutzen wir ja auch keine Satelliten zur Peilung, sondern Sendemasten für Mobiltelefone und private WLAN-Anschlüsse.«
    Sie kamen an eine Weggabelung. Fabienne nahm, ohne zu zögern, einen schmalen Pfad, der neben einer Hütte in den Wald führte. »Die Ortung funktioniert bis auf zwei Meter genau. Pablo ist ein Genie.«
    »Hat er auch das Spiel erfunden?«
    »Er hat es verbessert. Als Fünfzehnjähriger hat

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