One: Die einzige Chance (German Edition)
weder Flüge nach London noch fahren Züge nach Zürich.« Sie warf ihm einen Blick zu und stöhnte. »Okay. Das mit dem Joint und danach war ein Fehler. Entschuldigung. Hätte ich gewusst, dass du das so ernst nimmst, hätte ich’s gelassen.«
Kayan hatte noch nie so viel Geld für Benzin hingeblättert wie an diesem sonnigen Morgen. Aber es war ihm egal. Mehr noch, es amüsierte ihn, wie der vermutlich türkischstämmige Mann einen Kanister nach dem anderen in seinen Tank füllte und sorgsam darauf achtete, keinen Tropfen der kostbaren Flüssigkeit zu verschütten. Zum Beweis seiner Ehrlichkeit hielt er jeden Kanister gegen die Sonne, damit man den Füllstand erkennen konnte, und ließ Kayan anschließend an der Öffnung schnuppern, als sei er ein exklusiver Gast, der aus den besten Jahrgängen wählen durfte. Vierhundert Euro für siebzig Liter. Kaum hatten die Ölmultis den Hahn zugedreht, blühte der Schwarzmarkt. Er zählte dem Mann den geforderten Betrag in die schwielige Hand. Das war ein Glückstag für den untersetzten Kerl und Kayan legte noch fünfzig Euro drauf, weil er nachempfinden konnte, was es bedeutete, endlich mal einen Trumpf in der Hand zu halten und nicht für ein paar mickrige Euro für »die da oben«, wie sein Vater immer gesagt hatte, schuften zu müssen. Ein anderer Grund für seine Großzügigkeit war die Erinnerung an die vergangene Nacht. Seine Frau hatte schon immer einen leichten Schlaf gehabt. Wahrscheinlich war das Frauen angeboren, für die eine Familie mit Kindern das Paradies war. Jedenfalls wachte sie mitten in der Nacht auf und küsste ihn auf den Hals. Kayan befand sich in einem Dämmerzustand, den er über Stunden aufrechterhalten konnte. Früher war er vor Einsätzen so nervös gewesen, dass dieser Halbschlaf über Tage genügen musste. Manche Auftraggeber hatten bestimmte Wünsche, wann und wo er die Zielperson eliminieren sollte. Vor Clubs und Bürogebäuden. In einem Hinterhalt oder vor den Augen von Geschäftspartnern, die diese Botschaft verstehen sollten. Am leichtesten jedoch war sein Job, wenn er die Männer (und das waren wie gesagt fast ausschließlich seine Zielpersonen) nach einem Bordellbesuch umlegen sollte. Selbst wenn sie bewaffnet waren, selbst wenn sie sein Kommen ahnten, war ihr Reaktionsvermögen geschwächt. Sex benebelte den Geist und machte einen schwach und zufrieden.
Genau so fühlte sich Kayan jetzt, als er mit gerade mal hundert Sachen über die Autobahn Richtung Süden fuhr. Doch das störte ihn nicht. Den nächsten Auftrag musste er innerhalb von achtundvierzig Stunden ausführen. Bis dahin blieb genügend Zeit, seine Sinne wieder zu schärfen und sich auf seine Aufgabe vorzubereiten.
Wortlos bugsierte Samuel Badawi zurück in die Transportbox. »Tut mir leid«, entschuldigte er sich bei seinem Freund und schloss das Gitter. Dann packte er das Geschenk in den Rucksack und schlüpfte in seine Jeansjacke.
»Was hast du vor?«, fragte Fabienne. »Willst du etwa gehen?«
»Es war wirklich spannend, dich getroffen zu haben, und irgendwie verstehe ich auch, was ihr da plant. Die Welt ist nicht gerecht. Aber ich bin müde, hab Hunger und will meine eigenen Angelegenheiten in Ordnung bringen. Jetzt. Ich will nicht länger davonrennen. Nachher versuchen sie auch noch, mir den ersten Mord in die Schuhe zu schieben. In Frankfurt haben sie doch bestimmt auch Fingerabdrücke von mir gefunden.« Samuel ging zur Tür. »Ich muss zur Polizei.«
Fabienne versperrte ihm den Weg. »Das kannst du nicht machen.«
»Wieso nicht? Weil ich zu viel weiß? Willst du mich festhalten oder umbringen?«
»Interessiert dich denn gar nicht, was in dem Schließfach ist?«
»Doch. Aber hast du schon mal versucht, eine Grenze zu überqueren, wenn du wegen Mordes gesucht wirst?«
»Das … das kann man regeln.«
»Ach ja, beinahe hätte ich’s vergessen. Dein Freund weiß natürlich, wie man das macht. Er hackt sich kurz in den Zentralcomputer der Polizei und schon bin ich wieder ein unbescholtener Bürger.«
»Bitte, geh nicht.«
»Warum?«
»Weil …« Sie legte ihre Hand auf seinen Unterarm. »Ich … ich will jetzt nicht alleine sein.«
»Aber ich muss doch endlich meine Eltern erreichen«, sagte Samuel. Plötzlich wirkte Fabienne zerbrechlich. Vielleicht ging es ihr doch ein bisschen wie ihm. Vielleicht hatte die letzte Nacht doch eine größere Bedeutung, als sie zugeben wollte. »Was, wenn sie die Nachrichten gesehen haben? Ich muss sie unbedingt
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