One: Die einzige Chance (German Edition)
Zielpersonen direkt um die Ecke wohnten. Wenn er Glück hatte, befanden sie sich in Deutschland, dann wäre in zwei Tagen alles erledigt. Aus dem Auftrag ging hervor, dass die Möglichkeit groß war, beide am selben Ort anzutreffen. Vielleicht waren es Geschäftspartner. Das jedoch schmälerte die Chance, dass einer der beiden dem Tod von der Schippe sprang, weil er in letzter Sekunde begnadigt wurde.
Samuel musste den Brief seines Vaters ein zweites Mal lesen, um zu begreifen, was da stand. Warum hatte Vincent die ganze Zeit geschwiegen? Die Tickets hatte er bestimmt nicht erst vor einer Woche gekauft. Was war sein Vater nur für ein komischer Kauz?
Samuel studierte die ausgedruckten Flugtickets. In drei Wochen. Von London nach Vancouver. Und nach dem Stadtaufenthalt wollte sein Vater zwei Wochen mit ihm in der Wildnis verbringen. Er hatte sein Versprechen also doch nicht vergessen.
… ich bin Dir nicht böse, wenn Du die Reise nicht mehr machen willst und es vorziehst, Europa zu erkunden, um anschließend in London bei Deiner Mutter Wirtschaft zu studieren. Mit Deinen Noten steht Dir die Welt offen. Vielleicht habe ich versäumt zu sagen, wie stolz ich auf Dich bin. Hätten wir mehr Zeit miteinander verbracht (was meine Schuld war), hättest du vielleicht verstanden, warum ich manchmal so zerrissen bin, wenn es um das privilegierte Leben geht, das wir im Ausland führen. Manche Entscheidungen, die man trifft, rächen sich später. Diese Lektion musste ich gerade lernen. Wie jeder liebende Vater wollte ich Dir ein Vorbild sein, aber wie kann man ein Vorbild sein, wenn man sich darauf einlässt, dieses Spiel um Macht und Geld mitzuspielen? Wie kann man von seinem Sohn erwarten, dass er erkennt, wie man gerne sein würde, wenn man es selbst nicht zulässt, weil einem der Blick in den Spiegel von Tag zu Tag schwerer fällt? Wenn die Maskerade sogar bei denjenigen funktioniert, die man nicht täuschen will. Ich weiß, dass dieses Geständnis – mir fällt kein besseres Wort ein – viele Fragen aufwirft, dass vielleicht sogar Dein Weg davon beeinträchtigt wird, aber dennoch ist es mir wichtig, diesen Schritt zu tun, weil ich Angst habe, Dich zu verlieren. Und das wäre das Schlimmste, was ich mir vorstellen könnte. Ich will uns eine zweite Chance geben, uns neu kennenzulernen. Das Handeln von jedem von uns wird durch die Vergangenheit bestimmt. Man kann sie nicht wegschließen, wie ich lange Zeit gedacht und gehofft habe. Deshalb hab ich Dir einen Schlüssel für ein Schließfach beigelegt. Zugang erhältst Du mit der schwarzen Kreditkarte. Es wäre schön, wenn Du vor unserem Abflug (solltest Du mit Deinem alten verschrobenen Vater noch etwas zu tun haben wollen) die Schweiz in Deine Route aufnehmen könntest. Danach können wir über alles reden.
Samuel legte den Brief aus der Hand.
»Und, war doch noch was dabei, was den Herrn zufriedenstellt?«, fragte Fabienne. »Jetzt siehst du glücklich aus.«
»Eine Reise«, sagte Samuel und lächelte. »Mein Vater … er hat mir eine Reise geschenkt. Nach Kanada.«
»Eine Reise? Das könnte schwierig werden. Und sonst?«
Samuel öffnete einen zweiten, kleineren Umschlag. Darin befand sich ein länglicher Schlüssel, der innen hohl war. Ein Schlüsselbart zu beiden Seiten. Im rechteckigen Schaft war eine Nummer eingraviert. Den Namen der Bank hatte sein Vater nachträglich auf ein Post-it geschrieben, das am unteren Rand des Briefes klebte.
»Täusche ich mich oder ist das der Schlüssel zu einem Schließfach?«, wollte Fabienne wissen, legte den Joint nach einem tiefen Zug neben sich und wurde ernst. Samuel nickte. Sie würden zusammen nach Kanada fliegen. Er konnte es nicht glauben. All die Jahre hatte er sich das gewünscht. »Dein Vater erfüllt aber auch jedes Klischee vom wohlhabenden Daddy. Bestimmt hat er Schwarzgeld, Gold oder Diamanten gebunkert und jetzt weiht er dich in die dunklen Geheimnisse eurer Familie ein. Vielleicht gibt es Dinge, die er dir nicht verraten hat?«
»Mein Vater hat einen ganz normalen Job.« Samuel stockte. Der Raum schien zu schwanken. Er machte eine Pause und fuhr konzentriert fort: »Der ist zwar gut bezahlt, aber er arbeitet auch Tag und Nacht dafür. Ich glaub nicht, dass es um Geld geht. Aus Geld hat er sich nie viel gemacht.«
»Und wozu braucht er dann ein Schließfach in …« Sie hob die Brauen und erwartete, dass Samuel antwortete. »Auf, sag schon. Ich werd dich bestimmt nicht beklauen.«
»Das Schließfach ist in
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