Oneiros: Tödlicher Fluch
auffällig machte, war, dass er mit seiner Frisur aussah wie ein gealterter Rock ’n’ Roller, den man gezwungen hatte, Klamotten in gemäßigtem Landhausstil zu tragen.
Die durchmesserstarke Linse zielte auf das Café. Konstantin hatte das unschöne Gefühl, dass sie dazu noch auf ihn gerichtet war.
Iva nahm ihre Sonnenbrille ab. »Oh, ich habe Sie überrascht. Tut mir leid. Ich hoffe, ich bin nicht zu aufdringlich und bringe Sie bei Ihrer Begleitung in Schwierigkeiten.« Sie sah auf den Tisch, auf das einzelne Gedeck. »Alleine. Wie bei den Proben und den Aufführungen. Sind Sie gerne einsam?«
Ihr schönes Lächeln ohne die Bühne, ohne das Cello, ohne das Gewandhaus zu sehen, brachte ihn durcheinander. Aber die sensationelle Wirkung ihrer Lippen blieb. »Liegt an meinem Beruf«, sagte er hastig. Konstantin fühlte sich blockiert und gehemmt.
Der Wind drehte und trug ihm Ivas Parfüm zu, eine merkwürdige, aber spannende Mischung, weiblich und zugleich herb, wie sie Demoiselle Lilou niemals getragen hätte. Er bemerkte Spuren von Bergamotte, Jasmin, Rosen und Patchouli.
Zu ihr passt es.
Iva hielt ihre Handtasche in der Rechten. »Darf ich?« Sie deutete auf den freien Stuhl.
Konstantins kindischer Impuls war, entweder nein zu sagen oder aufzuspringen und wegzurennen.
Er wusste, dass es nicht bei einem harmlosen Gespräch bleiben würde. Sie war genau sein Typ, und dass es umgekehrt genauso war, hatten ihre Blicke bei den Proben ebenso verraten wie das einladende Lächeln, das sie auch in diesem Augenblick auf dem Gesicht trug. Sympathie, Anziehung, Neugierde. Hier, am Roten Platz in Moskau, konnte etwas beginnen, was er hatte vermeiden wollen. Wie sehr ihn die junge Cellistin auch anzog … es war zu gefährlich.
Oder ich riskiere alles und sage ihr sofort die Wahrheit über mich.
Für einen Moment richtete Konstantin seinen Blick wieder auf den Platz, hielt Ausschau nach dem Fremden mit dem Teleobjektiv, aber er war verschwunden.
Iva setzte sich, ohne seine Antwort abzuwarten. »Welchen Beruf haben Sie denn?«
Konstantin schaute sie an, versank in ihren braunen, wachen Augen. »Wie bitte?«
Sie wandte sich kurz ab, um beim Ober das Gleiche wie er zu bestellen, dann sprach sie wieder. »Sie sagten, Ihr Beruf mache Sie einsam. Daher nehme ich an, Sie sind entweder ein Kreativer oder einfach ein Arschlochtyp, bei dem der Beruf egal ist.« Sie grinste, um zu zeigen, dass sie einen Scherz gemacht hatte.
Konstantin lehnte sich ganz langsam nach hinten. Iva war ihm etwas zu forsch, seine eigenen Gedanken schwirrten so schnell umher, dass er sie kaum fasste. »Jedenfalls bin ich kein Musiker, der im Gewandhausorchester spielen darf wie Sie.«
Der Ober brachte eine Fuhre Samowartee plus russische Kekse und verschwand sofort wieder.
Sie senkte den Kopf ein wenig, blonde Haarsträhnen wollten vor ihr Gesicht rutschen, wurden aber mit einer eleganten Handbewegung zurückgeschoben. »Großer Gott, ich bin unmöglich, oder?«, sagte sie mit gedämpfter Stimme. »Das geht mir immer so, wenn ich … nervös bin. Ich falle mit allem ins Haus, was es gibt: Türen, Fenster, das Dach.« Iva lächelte. »Und dem Kamin.«
Und da verstand Konstantin, dass sie genauso unsicher war wie er, nur dass sie es mit großer Klappe und Getöse zu überspielen versuchte.
Sie ist nervös. Meinetwegen!
Ihm wurde warm, was nicht am Tee lag. Der Tag, vor dem er sich gefürchtet hatte und den er ersehnte, nahm seinen Lauf. »Ich wusste nicht, dass das Orchester hier auftritt.«
Sie war erleichtert, dass er ihr Geständnis nicht kommentierte, und griff das Thema dankbar auf. »Ja, eine schöne Gelegenheit, mal ohne einen Cent auszugeben vor die Tür zu kommen. Wir haben eine Einladung der russischen Regierung bekommen. So eine Partnerschaftssache. Moskau, Sankt Petersburg und vier weitere Städte, die ich gerade vergessen habe. Die Kontakte gehen vermutlich noch auf die DDR zurück, keine Ahnung. Das war vor meiner Zeit.« Iva wurde sichtlich ruhiger, dann lachte sie. »Das ist schon ein Ding, oder? Wir sehen uns so oft, und ich denke jedes Mal, dass ich Sie endlich ansprechen und auf einen Kaffee einladen sollte.« Sie hob ihre Tasse. »Und in Moskau ist es so weit. Auf dem Roten Platz.« Sie schüttelte den Kopf und grinste.
»In letzter Zeit erlebe ich öfter glückliche Zufälle.« Konstantins Herz pochte schnell. Je länger er Iva vor sich sah, ihr Lachen hörte und die Stimme vernahm, desto wohler fühlte er sich. Und
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