Onkel Robinson
Augenblick konnte man meinen, es berühre sie schon; dieser Eindruck rührte jedoch daher, daß höhere Landpartien stets über die unteren hinauszuragen scheinen. Bald machte der vorne stehende Marc die sich aus der Brandung reckenden schwärzlichen Köpfe als Klippen aus, die vom Meere weiß umbrodelt wurden. Das bedeutete äußerste Gefahr; sollte das Boot diese Riffs auch nur streifen, so würde es unweigerlich zerschellen.
Flip war aufgestanden und steuerte mit den Beinen, zwischen die er die Ruderpinne geklemmt hatte. Er spähte nach Stellen, an denen in dem schäumenden Gewoge ein Durchkommen war, und wenn er auch jeden Augenblick befürchtete, zerschmettert zu werden, so ließ er sich nichts davon anmerken. Ganz im Gegenteil!
»Was für ein Glück, daß wir diese Felsen haben!« sagte er. »Sie sind wie Bojen, die uns durch eine Fahrrinne leiten! Bald sind wir durch!«
Das Boot schoß mit beängstigender Geschwindigkeit zwischen den Klippen hindurch und wurde vom Wind, der zum Land hin wehte, geradewegs auf die Küste zugetrieben. Flip fuhr ganz dicht an den schaumumtosten Felsen vorbei und stieß nicht daran; er segelte über die dunklen Flecken hinweg, mit denen sich seichte Stellen ankündigten, und lief nicht auf Grund. Durch all diese Gefahren wurde Flip von seinem Seefahrerinstinkt geleitet, einem faszinierenden Gespür, das selbst der Nautik überlegen ist.
Dann bedeutete Flip den beiden Jungen, das Segel nunmehr ganz einzuholen. Sie rafften es und rollten es um die Rah. Noch immer fuhr das Boot, vom Wind getrieben, mit großer Geschwindigkeit dahin.
Es blieb noch die Frage der Landung, die Flip Kopfzerbrechen bereitete. Der Seemann vermochte in diesen hohen, wie eine Festungsmauer verschlossenen Felsen nicht die geringste Öffnung auszumachen. Eine Landung am Fuß dieser Steilküste war nicht zu bewerkstelligen. Und doch waren sie nur noch knapp dreihundert Meter vom Land entfernt. Sie mußten sich nun unbedingt etwas einfallen lassen und eventuell an der Küste entlangfahren, wenn sie schon nicht anlegen konnten.
Flip wurde sehr besorgt. Er blickte stirnrunzelnd dieses unerreichbare Land an und murmelte unverständliche Worte vor sich hin. Dann änderte er durch eine leichte Ruderbewegung die Richtung des Bootes und fuhr nicht mehr geradeaus, sondern quer auf die Küste zu. So aber schwappten von der Seite her große Wellen in das Boot hinein, und Marc und Robert hatten alle Hände voll zu tun, um es mit dem Hut aus gekochtem Leder wieder leerzuschöpfen.
Flip stand von seiner Bank auf. Er suchte irgendein Loch in diesen Felswänden zu entdecken, einen Spalt oder wenigstens ein Stück Uferstreifen, an dem eine Landung möglich wäre. Die Flut hatte ihren Höhepunkt erreicht, und es war zu hoffen, daß sie bei ihrem Rückzug einige Sandbänke hinterlassen würde. Doch bisher war keine zu sehen. Noch immer ragte einzig diese durchgehende Mauer empor, hinauf bis zu schwindelnden Höhen.
Auch Mrs. Clifton sah zur Küste hin. Sie hatte begriffen, wie gefährlich die Landung sein würde. Sie merkte genau, daß sie dieses Land, ihren einzigen Zufluchtsort, nicht anlaufen konnten. Doch wagte sie nichts zu sagen, wagte nicht, Flip zu befragen.
Plötzlich hellte sich die Miene des Seemanns auf, und seine Züge strahlten wieder Selbstvertrauen aus.
»Ein Hafen!« sagte er ganz einfach.
Tatsächlich wurde mit einem Mal ein Einschnitt sichtbar, als seien die Felsen durch einen gewaltigen geologischen Kraftakt auseinandergezogen worden. Dazwischen bohrte sich das Meer in eine kleine, spitz zulaufende Bucht. Flip erkannte sofort, daß es sich dabei um eine Flußmündung handelte, die bei Flut vom Meer überschwemmt wurde.
Flip lenkte also sein Boot in die Bucht hinein, und nach etwa hundert Metern landeten sie wohlbehalten an einem Sandstrand.
Fußnoten
1 Kurtine = Teil des Hauptwalls einer Festung.
2 Vulkanisch.
Kapitel 4
Endlich waren die Unglücklichen an Land! Sie hatten wieder festen Boden unter den Füßen! Sie waren den Gefahren des Ozeans entronnen. Doch wie war diese Küste beschaffen? Was hatte sie zum Überleben zu bieten?
Flip sprang ans Ufer, gefolgt von Marc und Robert. Gemeinsam zogen sie das Boot auf den Sand. Der Wasserstand des Meeres begann auch schon zu fallen, und bald würde das Boot auf dem Trockenen sein.
Flip nahm die beiden Kleinen auf den Arm, setzte sie auf dem Sand ab und half dann Mrs. Clifton beim Aussteigen. Der wackere Seemann konnte nicht verheimlichen, wie froh
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