Onkel Toms Hütte
glaubwürdig erschienen.
»Sie besuchen mich manchmal im Schlaf, die Engel.« Evas Augen wurden träumerisch, und sie summte mit leiser Stimme:
»Sie tragen ein schneeweißes Gewand
und Palmenwedel in gütiger Hand.«
»Onkel Tom«, sagte Eva, »dorthin werde ich gehen!«
»Wohin, Fräulein Eva?«
Das Kind stand auf, und ihre kleine Hand deutete zum Himmel; die Glut des Abends verlieh ihrem goldenen Haar und ihren heißen Wangen einen überirdischen Glanz; ihre Augen hingen am Himmel.
»Dorthin werde ich gehen«, wiederholte sie, »zu den Engeln hell, Tom; es wird nicht mehr lange dauern.«
Das treue alte Herz fühlte einen plötzlichen Stoß; Tom mußte daran denken, wie oft er im letzten Jahr bemerkt hatte, daß Evas Hände dünner, ihre Haut durchsichtig und ihr Atem kürzer geworden war, daß das Laufen und Spielen im Garten, womit sie früher Stunden zugebracht hatte, sie jetzt rasch ermüdete. Er hatte Miß Ophelia oft über ihren Husten klagen hören, den alle Medizinen nicht heilen wollten, auch jetzt glühten die brennenden Wangen und Hände in hektischem Fieber, aber bisher war ihm der Gedanke, den Evas Worte andeuteten, noch nie zu Bewußtsein gekommen.
Ein hastiger Ruf von Miß Ophelia unterbrach die Unterhaltung zwischen Tom und Eva.
»Eva – Eva! Ach, Kind, der Tau ist schon gefallen, du darfst nicht länger draußen bleiben!«
Eva und Tom eilten ins Haus.
Miß Ophelia hatte eine langjährige Erfahrung in der Kunst jeder Pflege. Sie kam von Neu-England und war wohl vertraut mit den ersten verräterischen Spuren jener schleichenden, heimtückischen Krankheit, welche die Blühenden und Schönen hinwegrafft und sie unwiderruflich, bevor noch das Lebensmark getroffen zu sein scheint, dem Tode überliefert.
Sie hatte Evas leichten, trockenen Husten wohl bemerkt; die täglich brennenden Wangen; auch der Glanz der Augen und die fiebrige Ausgelassenheit täuschten sie nicht.
Sie versuchte, St. Clare ihre Befürchtungen mitzuteilen; aber er fegte ihre Vermutungen gereizt und unwirsch und nicht wie sonst in gutgelauntem Leichtsinn beiseite.
»Du mußt nicht schwarzsehen – das hasse ich!« sagte er; »siehst du denn nicht, daß das Kind wächst? Wenn Kinder rasch wachsen, büßen sie immer an Kraft ein.«
»Aber sie hat den Husten.«
»Pah, der Husten! – Das bedeutet nichts. Sie hat sich vielleicht erkältet.«
»Na, so hat es bei den andern auch angefangen.«
»Oh, hör auf! Ihr seid so kampferprobt, ein Kind braucht nur zu niesen oder ein bißchen zu husten, und schon seht ihr überall Verderben und Untergang. Nimm das Kind in acht, bewahre sie vor der Nachtluft, und laß sie nicht zu viel draußen spielen, dann wird es ihr schon besser gehen.«
So sprach St. Clare. Aber er wurde nervös und unruhig. Er ließ Eva nicht mehr aus den Augen, was sich schon an der Häufigkeit verriet, mit der er betonte: »Das Kind ist ganz wohlauf.« – »Sein Husten besagt gar nichts« – »Es ist nur eine leichte Magenverstimmung, wie Kinder sie häufig haben.« Aber er hielt sie mehr als früher an seiner Seite, nahm sie auf seinen Ritt mit und brachte ihr alle paar Tage ein anderes Stärkungsmittel mit. »Nicht, daß das Kind es braucht, aber es wird ihm keinen Schaden tun.«
Tiefer als alles andere kam ihm aber die zunehmende geistige Reife des kleinen Mädchens schmerzlich zum Bewußtsein. Bei aller kindlichen Unbefangenheit ließ sie zuweilen ganz unbewußt Worte von so weittragender Bedeutung und seltsamer unirdischer Weisheit fallen, daß sie wie eine Inspiration wirkten. St. Clare verspürte jedesmal einen eisigen Schrecken und schloß sie in die Arme, wie um sie damit zu retten; in seinem Herzen erhob sich eine wilde Entschlossenheit, sie festzuhalten und niemals fahren zu lassen.
Das Kind schien Herz und Seele an Werke der Liebe und Güte zu verschwenden. Von Natur aus von impulsiver Großzügigkeit, schien sie jetzt eine fast weibliche Rücksicht an den Tag zu legen, die jedem auffiel. Immer noch spielte sie gern mit Topsy und den anderen farbigen Kindern; aber jetzt war sie lieber Zuschauer als Anstifter, und sie konnte eine halbe Stunde Topsys drollige Späße belachen – bis ein Schatten über ihr Gesichtchen glitt, ihre Augen träumerisch blickten und ihre Gedanken abschweiften.
»Mama«, sagte sie eines Tages plötzlich zu ihrer Mutter, »warum bringen wir unseren Leuten nicht das Lesen bei?«
»Was für eine Frage, Kind! Das tut niemand.«
»Und warum nicht?«
»Weil es gar keinen
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