Onkel Toms Hütte
vielleicht dürfen wir sie doch behalten, es geht ihr viel besser.« Mit leichterem Herzen als seit Wochen war er in sein Zimmer zurückgegangen.
Aber um Mitternacht – seltsame, geheimnisvolle Stunde, wenn sich der Schleier der zerbrechlichen Gegenwart und der ewigen Zukunft leise bewegt –, da kam der Sendbote! Im Zimmer entstand ein Geräusch, wie von schnellen Schritten. Es war Miß Ophelia, die sich entschlossen hatte, die Nacht über bei ihrem kleinen Pflegling zu wachen, und die in dieser Stunde bemerkt hatte, was Pflegerinnen so bezeichnend ›eine Veränderung‹ nennen. Die äußere Tür wurde eilig geöffnet, und Tom, der wach gelegen, war im Nu zur Stelle.
»Lauf nach dem Doktor, Tom! Verliere keinen Moment«, sagte Miß Ophelia; und, das Zimmer durchquerend, klopfte sie an St. Clares Tür.
»Vetter«, sagte sie, »ich möchte dich bitten, komm herüber.«
Wie Erdschollen auf einen Sarg, so fielen diese Worte auf sein Herz. Im selben Augenblick aber stand er auf, trat ins Zimmer und neigte sich über Eva, die noch schlief.
Jedoch zeigten sich auf des Kindes Gesicht keine erschreckenden Spuren – nur ein hoher, fast göttlicher Ausdruck – die ahnende Gegenwart himmlischer Geister, der Anbruch unsterblichen Lebens in der kindlichen Seele.
Sie standen so still und blickten auf sie hinab, daß selbst das Ticken der Uhr zu laut erschien. In wenigen Minuten kehrte Tom mit dem Doktor zurück. Dieser trat ein, blickte kurz hin und verstummte wie die übrigen.
»Wann trat diese Veränderung ein?« fragte St. Clare jetzt im Flüsterton Miß Ophelia.
»Um Mitternacht«, war die Antwort.
Marie, aufgeweckt durch das Eintreten des Doktors, erschien eilig aus dem Nebenzimmer.
»Augustin! Kusine! – Was?« – stieß sie aufgeregt hervor.
»Pst!« sagte St. Clare heiser; »sie stirbt!«
Mammy hatte die Worte gehört und eilte davon, um die Leute zu wecken. Das ganze Haus erwachte, Lichter flammten auf, Schritte ertönten, ängstliche Gestalten erschienen auf der Veranda, umringten weinend die Glastür; aber St. Clare sah und hörte nichts von alledem. Er sah nur das Zeichen auf dem Gesicht der kleinen Schläferin.
»Ach, wenn sie doch erwachte und noch ein Wort sprechen wollte!« sagte er, und sich über sie neigend, hauchte er in ihr Ohr – »Eva, Liebling!«
Die großen blauen Augen öffneten sich – ein Lächeln huschte über das Gesicht; sie versuchte, den Kopf zu heben und zu sprechen.
»Lieber Papa«, sagte das Kind mit letzter Anstrengung und wollte die Arme um seinen Hals schlingen. Aber im selben Moment fielen sie zurück; und als St. Clare den Blick hob, sah er ein Zucken des Todeskampfes über ihr Gesicht gehen – sie rang nach Atem und warf ihre kleinen Hände nach oben.
»O Gott, dies ist furchtbar!« sagte er, wandte sich in Todespein ab, preßte Toms Hand, kaum wissend, was er tat. »O Tom, das bringt mich um!«
Tom hielt beide Hände seines Herrn; und während ihm die Tränen über die dunklen Wangen liefen, blickte er hilfeflehend nach oben.
»Bete, daß er es kurz macht!« sagte St. Clare; »dies preßt mir das Herz zusammen.«
»Oh, Dank sei dem Herrn! Es ist vorbei – es ist vorbei, lieber Herr!« sagte Tom. »Seht sie an!«
Das Kind lag schwer atmend in den Kissen – wie nach großer Erschöpfung –, die großen blauen Augen aufgeschlagen und starr. Ach, was sagten diese Augen, die so sehr vom Himmel sprachen? Die Erde und alle irdischen Schmerzen waren vorüber; aber so feierlich, so geheimnisvoll war der triumphierende Glanz dieses Gesichts, daß selbst die Trauernden ihr Schluchzen erstickten. In atemloser Stille drängten sie näher.
»Eva!« sagte St. Clare sanft.
Sie hörte nicht.
»Oh, Eva, was siehst du? Was ist es?« fragte ihr Vater.
Ein helles, strahlendes Lächeln glitt über ihr Gesicht, und sie sagte, abgerissen – »Ach, Liebe – Freude – Frieden!«, seufzte auf und schied vom Tod ins Leben.
26. Kapitel
›Dies ist das Letzte auf Erden‹
Figuren und Bilder in Evas Zimmer wurden mit weißen Tüchern verhangen, man vernahm nur leises Atmen und behutsame Schritte, auch das Licht drang nur noch verstohlen durch die halb verdunkelten Fenster.
Das Bett war weiß umhangen, und dort unter der geneigten Engelsfigur lag die kleine Gestalt – wie im Schlaf, um niemals wieder zu erwachen.
Dort lag sie in einem der schlichten, weißen Kleidchen, die sie im Leben so gern getragen; das rosenfarbene Licht der Vorhänge hauchte einen warmen Schein über
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