Onkel Toms Hütte
sah er den treuen Burschen, dessen ehrliches, bekümmertes Gesicht mit dem flehenden Ausdruck von Zuneigung und Teilnahme ihn mit einemmal rührte. Er ergriff Toms Hand und preßte sie an seine Stirn.
»O Tom, alter Junge, die ganze Welt erscheint mir so leer.«
»Ich weiß, Herr, ich kenne das«, sagte Tom. »Als ich verkauft und von Weib und Kindern getrennt wurde, war ich fast gebrochen. Nichts war mir übriggeblieben, aber da hat der Heiland mir beigestanden und gesagt: ›Fürchte dich nicht, Tom!‹ Licht und Freude hat er mir armem Kerl gebracht, und alles wurde voller Frieden.«
Tom hatte stockend mit tränenerstickter Stimme gesprochen. St. Clare legte seinen Kopf an Toms Schulter und preßte die harte, treue schwarze Hand.
27. Kapitel
Wieder vereint
Gleichmäßig glitten die Wochen in St. Clares Haushalt dahin; denn wie gebieterisch, gefühllos, ungeachtet unserer Schmerzen nimmt doch das Leben seinen Lauf! Wir essen, trinken, schlafen und erwachen wieder – wir handeln, kaufen, verkaufen, stellen Fragen und geben Antwort, kurzum, wir jagen tausend Schatten nach, mag auch unser Interesse erloschen sein, das Interesse am Leben; was bleibt, ist der bloße Mechanismus des Lebens.
St. Clare hatte ganz unbewußt alle seine Hoffnungen und Lebensinteressen auf sein Kind gerichtet. Für Eva hatte er sein Besitztum verwaltet, nach Eva seine Zeit eingerichtet, dies und das für sie zu tun, war ihm so sehr zur Gewohnheit geworden, daß ihm nun nach ihrem Hinscheiden nichts mehr zu tun und nichts mehr zu denken übriggeblieben war.
Er hatte niemals vorgegeben, unter irgendwelcher religiösen Verpflichtung zu stehen; seine edle Natur erkannte instinktiv, wie weit die christlichen Gebote gingen, seine Handlungsweise stimmte mit ihnen überein, ohne daß er sich bewußt nach ihnen richtete. Denn davon schreckte er immer noch zurück.
Doch hatte er sich in mancher Hinsicht gewandelt. Er las gewissenhaft und andächtig in Evas Bibel; er überprüfte die Beziehungen zu seinen Leuten und war wenig mit seinem bisherigen und gegenwärtigen Verhalten zufrieden; eine Sache aber nahm er sogleich nach seiner Rückkehr nach New Orleans in Angriff, und das waren die ersten Formalitäten zu Toms Freilassung. Inzwischen schloß er sich Tom mit jedem Tag näher an. In der ganzen Welt schien ihn niemand so sehr an Eva zu erinnern, er ließ ihn nicht von seiner Seite; und so sorgfältig er sonst seine Gefühle verbarg, Tom gegenüber schien er beinahe laut zu denken. Tom aber lohnte die Anhänglichkeit seines Herrn mit doppelter Treue und Verehrung.
»Also, Tom«, sagte St. Clare am Tage, als er den ersten legalen Schritt zu seiner Freilassung unternommen hatte, »ich werde dich nun zum freien Mann machen; halte also deine Koffer bereit und rüste dich zur Heimreise nach Kentucky.«
Doch das jähe Freudenlicht in Toms Augen, als er seine Hände zum Himmel hob, sein inbrünstiges »Dem Herrn sei gedankt!« brachten St. Clare ein wenig außer Fassung, es gefiel ihm nicht, daß Tom ihn so bereitwillig verlassen wollte.
»So schlecht ist es dir schließlich nicht ergangen. Tom, so übermäßig brauchtest du dich nicht zu freuen«, sagte er trocken.
»Nein, nein, gnädiger Herr, nicht deswegen – aber frei zu werden! Darüber frohlocke ich!«
»Aber, Tom, denkst du nicht, daß du es hier persönlich besser hattest als in der Freiheit?«
»Nein, gewiß nicht, gnädiger Herr«, sagte Tom in ausbrechender Energie, »gewiß nicht!«
»Aber, Tom, du hättest dir doch durch deine Arbeit unmöglich solche Kleider und Lebensweise leisten können, wie ich sie dir bot.«
»Das weiß ich gut, gnädiger Herr, Ihr wart sehr gütig; aber lieber will ich schlechte Kleider, ein schlechtes Haus und alles schlecht haben, wenn es nur mein ist. Das ist so, so will es die Natur, Herr.«
»Wahrscheinlich. Und in ein, zwei Monaten wirst du aufbrechen und mich verlassen«, setzte er unzufrieden hinzu. »Was dir gewiß auch keiner verdenken kann«, sagte er sodann in fröhlicherem Ton, und aufstehend schritt er im Zimmer auf und ab.
»Nicht, solange der gnädige Herr Kummer hat«, sagte Tom. »Solange der gnädige Herr mich haben will, bleibe ich da – wenn ich von Nutzen sein kann.«
»Solange ich Kummer habe, Tom?« sagte St. Clare und sah traurig aus dem Fenster… »Und wann wird mein Kummer vorüber sein?«
»Wenn der gnädige Herr bekehrt ist«, sagte Tom.
»Und bis zu dem Tage willst du bei mir bleiben?« sagte St. Clare und lächelt
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