Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Onkel Toms Hütte

Titel: Onkel Toms Hütte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beecher-Stowe Harriet
Vom Netzwerk:
ihm einen Augenblick, wie er auf jedes Wort deutet und jedes halblaut ausspricht. So liest er:
    »Euer – Herz – erschrecke – nicht. In – meines – Vaters – Haus – sind – viele – Wohnungen –. Ich – gehe – hin – euch – die – Stätte – zu – bereiten.«
    Es war seine Gewohnheit gewesen, sich von den Kindern seines Herrn, besonders von dem jungen Herrn Georg die Bibel vorlesen zu lassen, und dabei hatte er sich, während sie lasen, mit Feder und Tinte kühne, feste Kreuze und Zeichen an den Stellen gemacht, die seinem Ohr besonders zugetan oder sein Herz besonders erquickten. In dieser Art war seine Bibel von Anfang bis Ende markiert, so daß er binnen eines Augenblicks seine Lieblingsstellen aufschlagen konnte, ohne das Dazwischenliegende lesen zu müssen; und während das Buch vor ihm lag, schien jede Stelle die Erinnerung an die verlassene Heimat wachzurufen und eine vergangene Freude zu bestätigen, damit aber wurde seine Bibel zum Inbegriff alles dessen, was ihm von seinem glücklichen Leben noch geblieben war und was ihm die Zukunft verheißen konnte.
    Unter den Reisenden auf dem Schiff befand sich auch ein junger Herr von Stand und Familie, der in New Orleans wohnte und den Namen St. Clare trug. Seine kleine Tochter im Alter von sechs bis sieben Jahren begleitete ihn zusammen mit einer Dame, die mit beiden verwandt zu sein schien und vor allem die Kleine unter ihrer besonderen Obhut hatte.
    Tom hatte das kleine Mädchen schon öfters bemerkt, denn sie gehörte zu jenen flinken, beweglichen Geschöpfen, die man ebensowenig wie einen Sonnenstrahl oder einen Sommerwind an einem Ort festhalten kann, auch konnte man sie nicht so leicht wieder vergessen.
    Äußerlich besaß sie jene vollendete kindliche Schönheit, ohne jedoch wie manche andere Kinder zu rundlich und pausbäckig zu sein. Sie besaß die fließende, elfenhafte Anmut unirdischer Wesen. In ihrem Gesicht fiel weniger die reine Schönheit der Züge als die träumerische, ungewöhnliche Innigkeit des Ausdrucks auf, der allen Gleichgesinnten zu Herzen ging, während auch die Grobschlächtigen sich davon ansprechen ließen, ohne recht zu wissen, warum. Die Form ihres Kopfes, die Biegung ihres Nackens waren eigentümlich edel, das lange, goldbraune Haar, das sie wie in eine Wolke einhüllte, der tiefe, nachdenkliche Ernst ihrer veilchenblauen Augen, die von dichten, goldbraunen Wimpern eingefaßt waren, alles zeichnete sie vor anderen Kindern aus und veranlaßte jedermann, sich umzudrehen und ihr nachzublicken, wenn sie auf dem Schiff vorüberglitt. Trotzdem war die Kleine weder ein besonders ernstes noch trauriges Kind.
    Im Gegenteil, eine schwerelose und unschuldige Heiterkeit schien wie der Schatten von Sommerblättern beständig über ihr kindliches Gesicht und ihre zarte Gestalt zu huschen.
    Sie war immer in Bewegung, stets spielte ein leichtes Lächeln um ihren Mund.
    Ihr Vater und ihre weibliche Aufsicht waren beständig auf der Suche nach ihr unterwegs, kaum hatte man sie eingefangen, war sie schon wieder wie eine Sommerwolke verschwunden. Sie war überall und nirgends. Da aber nie ein Wort des Tadels ihr Ohr traf, sie mochte tun, was sie wollte, wußte sie auf dem Dampfer in jeder Ecke Bescheid.
    Wenn der Heizer zuweilen schweißtriefend von seiner schweren Arbeit aufblickte, traf sein Blick auf die großen, blauen Augen des Kindes, die es staunend auf die brodelnde Tiefe des Kessels richtete, um sie dann voll Angst und Mitleid auf ihn zu heften, als ob er sich in schreckliche Gefahr begeben hätte. Ebenso hielt der Steuermann an seinem Rad zuweilen lächelnd inne, wenn der Blondkopf an seinem runden Fensterchen auf einmal auftauchte und im selben Augenblick wieder verschwand. Tausendmal am Tage wurde sie von rauhen Stimmen gesegnet, sie ging nur vorbei, und schon glitt ein Lächeln in ungewohnter Sanftheit über harte Gesichter; trippelte sie aber furchtlos an gefährlichen Stellen vorüber, streckten sich unwillkürlich grobe, rauchgeschwärzte Hände nach ihr aus, ihr den Weg zu ebnen.
    Tom mit der weichen empfänglichen Natur seiner freundlichen Rasse, die immer dem Kindlichen und Einfachen zustrebt, hatte das junge Geschöpf täglich mit wachsender Teilnahme beobachtet. Für ihn war sie beinahe ein göttliches Wesen; jedesmal, wenn ihr goldener Blondkopf und die tiefen blauen Augen hinter einem grauen Baumwollballen nach ihm ausspähten oder von den aufgetürmten Kisten auf ihn herablugten, war er beinahe im Glauben,

Weitere Kostenlose Bücher