Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Onkel Toms Hütte

Titel: Onkel Toms Hütte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beecher-Stowe Harriet
Vom Netzwerk:
einen Engel aus seinem Neuen Testament zu erblicken.
    Viele Male kam sie traurig an der Stelle vorüber, wo Haleys Sklaventransport in seinen Ketten hockte. Sie glitt dann zwischen ihnen hindurch und betrachtete sie alle mit einem Ausdruck ernster und verwunderter Trauer; zuweilen hob sie mit ihren zarten Händen die schweren Sklavenketten auf, seufzte bekümmert und huschte wieder fort. Verschiedentlich erschien sie plötzlich unter den Unglücklichen, beide Hände voll Süßigkeiten, Nüssen und Orangen, die sie fröhlich verteilte, um rasch wieder zu verschwinden.
    Tom hatte das kleine Fräulein genau beobachtet, ehe er eine erste Annäherung wagte. Er konnte eine Unmenge kleiner Kunststücke, um das junge Volk anzulocken und zu unterhalten, und er beschloß, diesmal recht behutsam zu Werke zu gehen. Er konnte zierliche Körbchen aus Kirschkernen schnitzen, aus Hickory-Nüssen komische Gesichter machen und aus Holundermark Purzelmännchen schneiden; im Schnitzen von Flöten und Pfeifen jeder Art und Größe war er ein wahrer Meister. Seine Taschen waren mit allerhand Schnickschnack vollgestopft, den er in seinen guten Tagen für die Kinder seines Herrn aufgehoben hatte. Stück für Stück zauberte er nun hervor, aber erst allmählich, um damit eine freundliche Bekanntschaft mit dem kleinen Mädchen anzubahnen.
    Die Kleine war bei allem lebhaften Interesse, das sie den Geschehnissen rings um sie her bezeugte, sehr scheu, und es war nicht leicht, ihr Zutrauen zu gewinnen. Anfangs hockte sie noch wie ein Kanarienvogel auf einer Kiste oder einem Ballen und sah nur von weitem zu, wie Tom seine genannten Künste trieb. Verschämt und ernsthaft nahm sie die kleinen Geschenke entgegen, die er ihr anbot. Aber schließlich verkehrten sie ganz freundschaftlich miteinander.
    »Wie heißt das kleine Fräulein?« fragte Tom schließlich, als er der Meinung war, die Dinge seien jetzt weit genug gediehen, um diese Frage zu stellen.
    »Evangeline St. Clare«, sagte die Kleine, »aber Papa und alle anderen nennen mich Eva. Aber wie heißt du denn?«
    »Ich heiße Tom; die kleinen Kinder in meiner Heimat, drüben in Kentucky, nannten mich immer Onkel Tom.«
    »Dann will ich dich auch Onkel Tom nennen. Denn, weißt du was? Du gefällst mir«, sagte die kleine Eva. »Wo fährst du hin?«
    »Das weiß ich nicht, Fräulein Eva.«
    »Das weißt du nicht?«
    »Nein. Ich werde an jemand verkauft. Ich weiß aber nicht an wen.«
    »Mein Papa soll dich kaufen«, sagte Eva rasch; »wenn er dich kauft, dann wird es dir gut gehen. Ich will ihn gleich fragen.«
    »Vielen Dank, kleines Fräulein.«
    Inzwischen hatte der Dampfer an einem kleinen Landeplatz haltgemacht, um eine Ladung Holz aufzunehmen, und Eva hatte kaum ihres Vaters Stimme gehört, als sie eilends fortsprang. Tom stand auf und begab sich nach vorn, um beim Verladen seine Dienste anzubieten; er war alsbald mit der Mannschaft tätig.
    Eva und ihr Vater standen zusammen an der Reling und sahen zu, wie das Schiff vom Landeplatz abstieß. Das Rad hatte sich zwei-, dreimal ruckartig gedreht, als die Kleine durch eine plötzliche Bewegung auf einmal das Gleichgewicht verlor und über den Schiffsrand kopfüber ins Wasser stürzte. Ihr Vater, ohne recht zu wissen, was er tat, stand im Begriff, ihr nachzuspringen, aber die Umstehenden hielten ihn zurück, denn dem Kinde wurde schon wirksame Hilfe zuteil.
    Tom hatte gerade unter ihr auf dem Zwischendeck gestanden, als sie hinabstürzte. Er sah sie auf dem Wasser aufschlagen und untergehen und sprang ihr im selben Augenblick nach. Bei seiner breiten Brust und seinen starken Armen war es ihm eine Kleinigkeit, sich im Wasser zu halten und abzuwarten, bis das Kind nach wenigen Augenblicken wieder auftauchte. Er ergriff sie mit beiden Armen, schwamm mit ihr zum Dampfer zurück und reichte sie, triefend naß, den hundert hilfreichen Händen hinauf, die sich ihr eifrig entgegenstreckten. Nach wenigen Augenblicken trug ihr Vater sie, noch immer völlig durchnäßt und bewußtlos, zur Damenkabine, unter deren weiblichen Bewohnern sich alsbald ein wohlgemeinter und gutherziger Wettstreit erhob, wer wohl die meisten Umstände machen und am erfolgreichsten die Wiederbelebung der Kleinen verhindern könnte.
    Am andern Tage, als der Dampfer sich New Orleans näherte, herrschte ein schwüles, drückendes Wetter. Auf dem Schiff erhob sich überall das geschäftige Treiben der allgemeinen Erwartung und Vorbereitung; in den Kabinen packte man schon seine

Weitere Kostenlose Bücher