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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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«Wenn man in der Dunkelheit ein strahlendes Präparat in die Nähe des geschlossenen Augenlides oder der Schläfe bringt, so hat man die Empfindung einer das Auge füllenden Helligkeit.» Ich habe das oft selbst mit einer der Uhren ausprobiert, deren Zeiger und Zifferblätter mit Onkel Abes Leuchtfarbe bemalt waren.
    Besonders eindrucksvoll fand ich bei Eve Curie die Beschreibung, wie ihre Eltern eines Abends ruhelos und neugierig, ob die Fraktionierungen wohl vorankämen, sehr spät noch in den Schuppen gingen und in der Dunkelheit überall ein magisches Leuchten sahen, in allen Bottichen und Gefäßen, die die Radiumkonzentrate enthielten. Da begriffen sie zum ersten Mal, dass ihr Element spontan leuchtete. Die Leuchtkraft des Phosphors war auf vorhandenen Sauerstoff angewiesen, doch die Leuchtkraft des Radiums erwuchs ganz aus sich selbst, aus der eigenen Radioaktivität. Geradezu lyrisch schrieb Marie Curie über diese Leuchtkraft:
    Es gehörte zu unseren besonderen Freuden, bei Nacht in unseren Arbeitsraum zu gehen und die schwach leuchtenden Silhouetten der Flaschen und Schalen zu erblicken, die unsere Produkte enthielten… ein wirklich wunderbarer Anblick und immer neu für uns. Die leuchtenden Gefäße sahen wie schwache Feenlichter aus.
    Onkel Abe besaß noch immer etwas Radium, das er von seiner Arbeit mit Leuchtfarben übrig behalten hatte und das er mir zeigte. Er holte eine Phiole hervor, die am Boden wenige Milligramm Radiumbromid enthielt - es sah aus wie ein Körnchen gewöhnliches Tafelsalz. Er hatte drei kleine Leuchtschirme, die mit komplexen Platinzyaniden bestrichen waren - Lithium-, Natrium- und Bariumplatinzyanid -, und als er das Radiumfläschchen (das er mit einer Zange gefasst hatte) vor den verdunkelten Schirmen schwenkte, leuchteten diese unvermittelt auf und wurden Flächen aus rotem, gelbem und grünem Feuer. Sie verloschen plötzlich wieder, als er das Fläschchen wegbewegte. «Radium hat viele interessante Wirkungen auf Substanzen in seiner Umgebung», sagte er. «Die fotografischen Effekte kennst du, aber Radium wirkt sich auch auf gewöhnliches Papier aus, es verbrennt und macht es löchrig wie ein Sieb. Radium zersetzt die Atome in der Luft, und dann verbinden sie sich wieder in anderer Form - daher riechst du Ozon und Stickstoffdioxid, wenn du dich in der Nähe befindest. Es wirkt auf Glas ein macht weiche Gläser blau und harte Gläser braun; es kann auch Diamanten färben und dem Steinsalz ein dunkles, intensives Violett verleihen.» Onkel Abe zeigte mir ein Stück Flussspat, das er für einige Tage dem Radium ausgesetzt hatte. Ursprünglich sei er lila gewesen, sagte er, jetzt war er blass und mit einer seltsamen Energie aufgeladen. Er erwärmte den Flussspat ein wenig, weit entfernt von Rotglut, woraufhin er plötzlich grell aufleuchtete, als befände er sich in Weißglut, anschließend kehrte er in sein ursprüngliches Lila zurück.
    Ein anderes Experiment, das mir Onkel Abe vorführte, begann mit der Elektrisierung einer Seidenquaste - dazu rieb er sie mit einem Stück Gummi -, woraufhin ihre Fäden, nun mit Elektrizität aufgeladen, einander abstießen und in alle Richtungen abstanden. Sobald er das Radium in ihre Nähe brachte, fielen die Fäden wieder zusammen, weil ihre Elektrizität entladen wurde. Der Grund sei, so Onkel Abe, dass Radioaktivität die Luft leitend mache, deshalb könne die Quaste ihre Ladung nicht bewahren. Eine außerordentlich verfeinerte Form dieses Experiments bildete das Goldblattelektroskop in Onkel Abes Labor ein stabiler Glasbehälter mit einem Stöpsel, durch den ein Metallstab führte. Der leitete die Ladung und war lose mit zwei winzigen Blättern aus Goldfolie verbunden. Wenn das Elektroskop geladen wurde, flogen die Goldblätter auseinander wie die Fäden der Quaste. Brachte man jedoch eine radioaktive Substanz in die Nähe des Glases, kam es zu einer augenblicklichen Entladung, und die Blätter sanken wieder in ihre ursprüngliche Lage herab. Die Empfindlichkeit, mit der das Elektroskop auf Radium reagierte, war verblüffend - es konnte den tausendmillionstel Teil eines Grains (l Grain = 0,0648 Gramm, A.d.Ü.) entdecken, millionenfach weniger, als sich chemisch nachweisen ließ, und war noch um mehrere tausend Mal empfindlicher als ein Spektroskop.
    Gerne beobachtete ich auch Onkel Abes Radiumuhr, im Prinzip ein Goldblattelektroskop, in dessen Innerem sich eigens in einem dünnwandigen Glasgefäß etwas Radium befand. Das Radium, das

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