Onkel Wolfram - Erinnerungen
bestätigen sollte, schlagen wir vor, nach der Herkunft eines von uns es Polonium zu nennen.»
Sie waren außerdem davon überzeugt, dass es noch ein weiteres radioaktives Element zu entdecken gab, weil die Extraktion von Polonium durch Wismut die Radioaktivität der Pechblende nur teilweise erklärte.
Sie hatten keine Eile - von ihrem guten Freund Becquerel abgesehen, schien sich niemand für das Phänomen der Radioaktivität zu interessieren - und genossen erst einmal einen entspannten Sommerurlaub. (Zu diesem Zeitpunkt wussten sie nicht, dass es noch einen anderen eifrigen und aufmerksamen Beobachter der Becquerel-Strahlen gab, den brillanten jungen Neuseeländer Ernest Rutherford, der nach Cambridge gekommen war, um in J. J.Thomsons dortigem Labor zu arbeiten.) Im September setzten die Curies ihre Suche fort und konzentrierten sich jetzt auf das Ausfallen mit Barium - dies schien außerordentlich geeignet zu sein, die verbleibende Radioaktivität aufzufangen, vermutlich weil es eine enge chemische Affinität zu dem zweiten noch unbekannten Element hatte, nach dem sie jetzt forschten. Die Dinge kamen rasch voran, und nach sechs Wochen hatten sie eine Bariumchloridlösung, die frei von Wismut (und wahrscheinlich auch Polonium) und fast tausendmal so radioaktiv war wie Uran. Abermals baten sie Demarçay um Hilfe, und dieses Mal fand er zu ihrer Freude eine Spektrallinie (später sogar mehrere: «zwei schöne rote Banden, eine Linie im Blaugrün und zwei schwache Linien im Violett»), die zu keinem bekannten Element gehörte. Dadurch ermutigt, verkündeten die Curies einige Tage vor dem Jahresende von 1898 die Entdeckung eines zweiten neuen Elements. Sie beschlossen, es Radium zu nennen, und da nur eine Spur von ihm unter das Barium gemischt war, gelangten sie zu dem Schluss, seine Radioaktivität «muss also ungeheuer sein».
Ein neues Element ließ sich leicht postulieren: Im Laufe des 19. Jahrhunderts hatte es mehr als zweihundert solche Behauptungen gegeben, von denen sich die meisten als Irrtümer herausstellten. Entweder handelte es sich um bereits entdeckte Elemente oder um Mischungen von Elementen. Jetzt hatten die Curies in einem einzigen Jahr die Entdeckung nicht eines, sondern zweier Elemente verkündet, und zwar ausschließlich auf der Grundlage einer erhöhten Radioaktivität und ihres gemeinsamen Auftretens mit Wismut und Barium (und, im Falle des Radiums, einer einzigen neuen Spektrallinie).Trotzdem war keines ihrer neuen Elemente isoliert worden, noch nicht einmal in mikroskopischen Mengen.
Pierre Curie war in erster Linie Physiker und Theoretiker (obwohl er auch im Labor Geschick und Einfallsreichtum bewies und häufig neue, eigenwillige Geräte entwickelte - unter anderem ein Elektrometer und eine sehr genaue Waage, die auf einem neuen piezoelektrischen Prinzip beruhte; beide Geräte wurden anschließend bei den Radioaktivitätsuntersuchungen des Ehepaars verwendet). Ihm genügte das unglaubliche Phänomen der Radioaktivität - es eröffnete ein riesiges neues Forschungsgebiet, einen neuen Kontinent, auf dem zahllose neue Ideen erprobt werden konnten.
Bei Marie lag die Sache anders: Für sie war die physische Realität des Radiums offenbar genauso wichtig wie seine merkwürdigen neuen Fähigkeiten. Sie wollte es sehen, fühlen, chemische Verbindungen eingehen lassen, um sein Atomgewicht und seine Position im Periodensystem herauszufinden.
Bis hierhin war die Arbeit der Curies im Wesentlichen chemischer Natur, das heißt, sie hatten Kalzium, Blei, Silizium, Aluminium, Eisen und ein Dutzend seltener Erden - alle Elemente bis auf Barium - aus der Pechblende entfernt. Nach einem Jahr kam schließlich der Zeitpunkt, wo chemische Methoden allein nicht mehr genügten. Es schien kein chemisches Verfahren zu geben, mit dem sich Radium von Barium trennen ließ, daher begann Marie Curie nun nach einem physikalischen Unterschied zwischen ihren Verbindungen zu suchen. Wahrscheinlich war Radium ein Erdalkalimetall wie Barium und folgte den Trends der Gruppe. Kalziumchlorid war extrem löslich, Strontiumchlorid in geringerem Maße, Bariumchlorid noch weniger - Radiumchlorid würde, so die Vorhersage von Marie Curie, praktisch unlöslich sein. Vielleicht ließ sich dieser Umstand dazu nutzen, um die Chloride von Barium und Radium mit Hilfe der fraktionierten Kristallisation zu trennen. Wenn eine warme Lösung abkühlt, kristallisiert der weniger lösliche Stoff zuerst aus, eine Technik, die bei den seltenen
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