Online Wartet Der Tod
genug Männer, die ihnen entsprächen –, das Problem war, dass Ellie bei aller Intuition nicht in der Lage war, die Blender von den Richtigen zu unterscheiden.
»Gib mal her«, sagte Jess und angelte sich den Laptop. »Ich find schon einen passenden Kerl für dich.« Er klickte hier, gab da etwas ein, und Ellie merkte, dass sie unwillkürlich fasziniert war. Diese Männer waren vollkommen Fremde. Sie konnte Beziehungen zu ihnen aufbauen, ohne sagen zu müssen, womit sie ihren Lebensunterhalt verdiente. Es bestand die Möglichkeit, jemanden kennenzulernen, ohne dass sich sofort die Klischeevorstellungen über einen weiblichen Cop störend dazwischenschoben. Online konnte sie ein ganz anderer Mensch sein.
Jess nahm einen Stift und eine zerknüllte Papierserviette vom Tisch und notierte die Namen von »Kandidaten«, wie er es nannte, Männern, die eine gute Stelle hatten und in deren Selbstdarstellung mindestens eine originelle Bemerkung steckte und keinerlei Mist, der sie von vornherein disqualifiziert hätte. Ellie schnappte ihm die Liste weg und begann Namen davon zu streichen.
»Was machst du, El? Die sind sehr vielversprechend.«
»Ich schmeiße die raus, die meinen Lackmustest nicht bestehen«, antwortete sie. »Ich möchte dich was fragen, Jess. Du bist jetzt fünfunddreißig. Wenn du so ein Fenster ausfüllen müsstest, was würdest du angeben, in welchem Alter du dir deine Wunschpartnerin vorstellst?«
»Ich? Na ja, vielleicht … vierundzwanzig bis fünfunddreißig.«
Ellie schnaubte verächtlich und gab ihrem Bruder einen Klaps auf die Schulter. »Du auch? Mein eigen Fleisch und Blut? Du bist fünfunddreißig, hast in vier Monaten Geburtstag und erzählst mir, dass es dir im Traum nicht einfallen würde, dich mit einer Frau zu treffen, die gestern sechsunddreißig geworden ist?«
»Das habe ich nicht gesagt. Wenn ich eine Frau kennenlerne, die ich mag, und feststelle, dass sie ein bisschen älter ist, stört mich das nicht. Aber wenn du mich fragst, was ich mir so vorstelle, klar, dann denke ich an eine, die in meinem Alter ist oder jünger.«
Ellie verdrehte die Augen. »Immerhin, dein eigenes Alter lässt du noch gelten. Mein Lackmustest schließt die Männer aus, bei denen die gesuchte Frau jünger sein soll als sie selbst – die streiche ich gleich. Die Hälfte von allen, die du hier rausgefischt hast, sagt, ihre Traumfrau wäre irgendwas zwischen Mitte zwanzig und genau einem Jahr jünger, als sie selbst sind.« Sie strich immer mehr Namen von der Liste. »Was ist denn so toll an Mittzwanzigerinnen?«
In gespielter Begierde setzte Jess einen glasigen Blick auf und leckte sich die Lippen. Ellie holte zu einem Karatetritt in seine Richtung aus.
»Okay, ich wette um eine Million, dass die Frauen in diesem Portal mindestens genauso oberflächlich sind. Die setzen nur andere Schwerpunkte. Geld, Macht, Ansehen. Es herrschen die Gesetze des Marktes, Schwesterchen.«
»Das überzeugt mich. Diese romantische – und absolut deprimierende – Anmerkung sagt mir, dass meine Online-Kontaktsuche wirklich rein beruflicher Natur bleiben sollte.«
Das Telefon klingelte. Jess war schneller als sie.
»Dies ist der Anschluss der wunderbaren Ellie Hatcher … Ach, mit Ihnen wollte ich sowieso reden. Ich hoffe, Sie wissen zu schätzen, was Sie an meiner Schwester als Kollegin haben.«
Ellie packte ihn beim Arm und nahm ihm das Telefon ab. »Entschuldigung, Flann. Mein Bruder ist ein Paradiesvogel.«
»Die aus der Ballistik haben gerade angerufen. Sie haben einen Treffer gelandet. Caroline Hunter wurde vor einem Jahr mit derselben Waffe getötet wie neun Monate zuvor eine andere Frau. Unser Freund ist schon länger dabei, als wir dachten. Es gibt ein drittes Opfer.«
Eine Stunde später legte Charlie Dixon auf. Er war wütend. Schlechte Nachrichten. Noch vor achtzehn Stunden hatte es so ausgesehen, als sei bei FirstDate alles unter Kontrolle. Die Nachforschungen des NYPD hatten nichts mit ihm zu tun. Sie verfolgten eine alberne Theorie, die ein als leicht verrückt geltender Detective ausgebrütet hatte. Er hatte sich ganz umsonst aufgeregt.
Und jetzt das.
Er griff noch einmal nach dem Telefon, tippte eine vertraute Nummer ein und verlangte seinen Chef. Während er dem Warteschleifengedudel lauschte, versuchte er sich zu beruhigen.
»Mayfield.«
»Tut mir leid, wenn ich störe, Sir, aber es hat sich was getan.«
»Schon gehört.« Selbst wenn es stressig wurde, blieb sein Boss gelassen. Diese
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