Online Wartet Der Tod
reiht sich ein Klischee ans andere.«
»Ach ja? Und was gilt in der Online-Welt als Klischee?«
»Na, hören Sie. Sie haben sich gestern doch genauso viele von diesen Langweiler-Profilen angesehen wie ich. Suche Komplizin. Keine Lust mehr auf Flirts an der Bar. Wünsche mir eine, die im Kleinen Schwarzen eine ebenso gute Figur macht wie in Jeans. Keine Diva. Und so weiter. Jeder hat da zwei Absätze Platz, um etwas über sich hinzuschreiben, über die eigenen Wünsche und Vorstellungen, und das ist alles, was diesen Typen einfällt?«
»Was sollten sie denn schreiben?«
»Irgendwas Originelles. Was Interessantes. Mein Gott, schon etwas, das nicht klingt wie aus einem Highschool-Jahrbuch abgekupfert, könnte nett sein. Aber sie schreiben alle das gleiche dumme Zeug. Deswegen bin ich am Ende auf Enoch gekommen. In einem Meer von Profilen, in denen die immer gleichen Plattitüden heruntergeleiert werden, erscheint seins als Prototyp. Am Anfang fand ich es einfach nur blass. Aber dann habe ich die Mails noch mal gelesen, die zwischen Amy und ihm hin und hergegangen sind, und habe eine Diskrepanz zwischen dem Profil und seinen Nachrichten empfunden. So durchschnittlich, wie sein Profil war, so speziell waren seine Mails. Zum Beispiel hat er als einer von sehr wenigen praktisch sofort nach ihrem Namen gefragt, und das ist, wenn ich es richtig sehe, in der Online-Welt eher tabu. Er wollte wissen, wo sie herkam, wo sie zur Schule gegangen ist, was das Schlimmste war, das sie je getan hatte – solche Sachen.«
»Ein bisschen zu neugierig?«
»Auf jeden Fall. Und er hat nicht locker gelassen. Ich habe mir dann unter dem Eindruck dieser Intensität sein Profil noch mal angeschaut und hatte plötzlich das Gefühl, dass er sich, indem er diese ganzen Standardsätze schreibt, über das alles nur lustig macht. Ich weiß nicht. Vielleicht ein bisschen gewagt, aber …«
»Risiko muss sein«, sagte Flann und hielt vor dem Revier. »Anders kommt man an den Jackpot nicht ran.«
Ellie ging geradewegs an Flanns Computer, öffnete ihren FirstDate-Account und lachte lauthals. Als sie Flanns neugierigen Blick sah, erklärte sie: »Ich habe acht neue Nachrichten und zehn Flirts.«
»Da haben Sie ja wohl ein knackiges Profil angelegt.«
Sie begann sich die Nachrichten anzuschauen. »Von Mr. Right hat mein Alter Ego, auch bekannt als LV990, schon eine Antwort. Von den beiden anderen nicht. Was nun? Ist das jetzt die Stelle, an der Sie mir sagen, ich soll mich mit den Typen verabreden, bis wir den Bösewicht haben?«
»Nein. Wie auch immer Ihr Pseudoname lautet, ich hatte nie die Absicht, Sie als Lockvogel einzusetzen.« Offenbar hatte er erkannt, wofür ihr Benutzername stand.
»Puh«, sagte sie und wischte sich über die Stirn. »Ich dachte schon, ich muss ermitteln wie Al Pacino. Huaah !«
» Sea of Love – Melodie des Todes ist immer noch ein klassischer Pacino im Vergleich zu Duft der Frauen. Den Pacino geben Sie übrigens gut.«
Ellie verbeugte sich wie auf der Bühne. »Danke, danke. Und ich danke Gott für die neue Generation von Kontaktanzeigen. Keine persönliche Begegnung mehr erforderlich. Ich werde einfach das tun, was sonst Amy getan hätte. Ein paar E-Mails lesen und schreiben und mich auf einen Anruf einstellen.«
»Klingt gut. Inzwischen können wir uns anschauen, was sie aus dem Archiv zu Tatiana Chekova geschickt haben.« Er hielt einen blauen Ordner hoch, der auf seinem Schreibtisch lag. »Damit dürften wir eine Weile beschäftigt sein.«
Jeder Detective hat gute Gründe, warum er eine Akte so oder so anlegt. Chronologisch – um zu zeigen, wie die Untersuchung Schritt für Schritt vorangekommen ist. Nach Beweismitteln geordnet – Zeugenaussagen getrennt von den Ergebnissen der Gerichtsmedizin. Die Kollegen aber, die für den Fall Tatiana Chekova zuständig gewesen waren, hatten kein erkennbares System benutzt. Erste Befragungen, Folgevernehmungen, Laborberichte, Informationen zum Opfer – alles kunterbunt durcheinander. Einige Blätter waren noch nicht mal gelocht, sondern einfach hinter die Plastiklaschen vorn und hinten im Ordner gestopft worden. Es gab unleserliche handschriftliche Notizen, zu denen sich keinerlei Erklärung fand. Ellie hatte noch nie eine NYPD-Mordakte gesehen, aber selbst bei ihren Feld-Wald-und-Wiesen-Fällen hatte sie mehr Ordnung in den Papieren.
Dem ersten Bericht zufolge hatte Tatiana Chekova in Bensonhurst gelebt, war aber vor dem »Vibrations« am West Side
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