Online Wartet Der Tod
sich das Kennzeichen eines Wagens notiert, der mit quietschenden Reifen vom Briefkasten weggerast war.
»Sie reiten immer auf derselben alten Geschichte herum«, sagte Roberta. »Er hat es genau genommen mit seinen Andenken und Aufzeichnungen. Sie haben Beweise gefunden, die ihn mit den bekannten acht Opfern in Verbindung bringen, und das war’s.«
»So eine Scheiße«, sagte Ellie und entschuldigte sich sofort für ihre Ausdrucksweise. Es passte genau zu Summer, dass er sich der Polizei gegenüber mit all seinen anderen Morden brüstete und den an dem Cop, der ihn um ein Haar erwischt hätte, verschwieg.
»Vielleicht würde es helfen, wenn du herkommen könntest«, brachte Roberta vor. »Es ist sowieso nicht einfach für mich, immer allein zu sein, auch ohne diese ganze Sache.«
»Ich hab doch gesagt, ich komme, wenn es einen guten Grund dafür gibt, Mom. Dann nehme ich so lange frei, wie es nötig ist. Wenn wir an das Beweismaterial herankommen, gehe ich es selbst durch, Stück für Stück. Oder wenn sie mir erlauben, mit ihm zu reden …«
»Davon halte ich gar nichts, das weißt du.«
Ellie war bewusst, dass sie genau in William Summers Beuteschema passte. Richtiges Alter. Gepflegt. Warmherzige Persönlichkeit. Sie war sicher, dass er, sobald sie vor ihm stand, der Versuchung nicht würde widerstehen können, sie auf die einzige Art und Weise zu peinigen, die ihm möglich war – seelisch. Er würde versuchen, sie zu quälen, indem er ihr haarklein schilderte, was er mit ihrem Vater gemacht hatte.
»Lass uns nicht darüber streiten. Ich verspreche dir: Wenn es so weit ist, setze ich mich in den Flieger und komme nach Wichita, und dann schauen wir, was zu tun ist – zusammen.«
Nach einem kurzem Schweigen fragte Roberta nach Jess. »Ich hab lange nichts von ihm gehört.«
»Dem geht’s prächtig. Er war vorhin kurz hier. Hätte auch gern mit dir telefoniert, aber seine Band hat heute einen großen Auftritt.«
»Das freut mich. Ich erzähle hier immer allen Leuten von Dog Park, aber es hat noch keiner von ihnen gehört. Du weißt ja, es dauert ewig, bis wichtige Neuheiten in Kansas ankommen.«
Ellie sagte ihrer Mutter, dass sie sie liebe, und wünschte ihr eine gute Nacht. Sie sagte auch, dass die Mutter ihr fehle. Bevor sie auflegte, erwiderte Roberta, sie liebe Ellie auch und vermisse sie – und dabei klang sie genauso einsam und hilflos wie am Ende jedes Telefonats.
Eine Stunde später zogen durch Ellies Kopf immer noch leichte Whiskey-Nebelschwaden, und dazu alle möglichen Bilder: ihre Mutter, Amy Davis’ geschundener Hals, der leere Blick in den Augen von Amys Eltern, als Flann ihnen unbeholfen die Katze ihrer Tochter übergab. Dann machte ihr geistiges Auge einen Sprung zu ihrem Vater, wie er, umgeben von Tatort-Fotos, allein an seinem Flohmarkt-Schreibtisch im Keller saß und alte Polizeiberichte las, die er längst in- und auswendig kannte. Im Zentrum der grausigen Collage sah sie das Bild einer verschmitzt dreinblickenden blonden Frau, Janice Beale.
Dieser Fall hatte Detective Hatcher am meisten zugesetzt. Als Beale ermordet wurde, zwei Wochen vor Weihnachten 1984, hatte der College-Hill-Würger bereits fünf Menschen getötet. Fünf Menschen. Drei Tage. Sechs Jahre. Ellies Vater hatte sich immer damit gequält, dass dieser Mord hätte verhindert werden können. Wenn sie eins und eins zusammengezählt und die Öffentlichkeit gewarnt hätten, dann wäre Beale vielleicht nichts zugestoßen. Diesen Gedanken war er nie losgeworden.
Wie Amy Davis war Janice Beale jung gewesen, hatte allein gelebt – und war erwürgt worden. Ellie schüttelte den Kopf. Diesen Vergleich wollte sie nicht zulassen. Sie würde nicht an die Stelle ihres Vaters treten. Amy Davis war noch keine Woche tot. Das war kein alter Fall. Und dazu würde es auch nicht kommen, wenn Flann und sie sich nur anstrengten.
Da sie ohnehin nicht schlafen konnte, stieg sie aus dem Bett und las noch einmal alle Mails, die Amy bei FirstDate geschrieben und bekommen hatte. Die drei interessantesten Männer pickte sie sich heraus. Nichts Gefährliches. Keine Bedrohung. Nur um eine Ahnung davon zu kriegen, wer diese drei waren. Unter dem Namen »LV990« meldete sie sich bei FirstDate an. LV für Lockvogel und dazu die Nummer ihrer Polizeimarke. Sie schrieb ein Profil, das sich nicht zu sehr von anderen abhob, und lud ein dunkles, körniges Foto hoch, dass Jess einmal spätabends im »Blue Note« mit seinem Handy gemacht hatte. Dann
Weitere Kostenlose Bücher