Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
Onno versuchte, sein rechtes Auge zu öffnen, bemerkte er, daß Eddas Wärme und Volumen aus seinem Rücken verschwunden waren. Wie sie es hin und wieder tat, war sie gegen sechs Uhr vom Toilettengang nicht wieder ins ruhige Einzelbett nach drüben zurückgetappt, sondern aufs letzte Stündchen der Nacht hierher, ins offizielle Schlafzimmer geschlüpft, wo Onno, zum Balkontürvorhang gedreht, schnarchte wie ein Yak. Als er dösig ihre Ankunft spürte, kam er ihr rücklings entgegen und kippte in die stabile Seitenlage, so daß Edda sich hineinschmiegen konnte wie in ein Futteral. Zärtlich knurrten sie sich an – »Schnecke …!«, »Na, mein Uhu …?« –, und wie auf Morpheus’ Fingerschnippen waren sie wieder eingeschlafen.
Nun war das rechte Auge offen – es kam ihm vor, als habe er ein Garagentor gestemmt – und starrte auf die irisierenden Ziffern des Digitalweckers: 7:25. Horchte zur Küche hinüber. Kein Radiogedudel. Demnach war Edda bereits bei Liliput, und demnach hatte ihn wieder dieser abscheuliche Taubenteufel geweckt. Gugruuuhu, gruhu.
Früher wäre Onno so was nicht passiert. Früher hätte man ihm im Schlaf den Hintern rasieren können. Legendär das Duell Polier vs. Viets, das ich eines Morgens live miterleben durfte. Schon ewig her.
Ich hatte ihm auf dem Weg in die Kanzlei irgendwelche Dokumente vorbeigebracht, und die Wohnung ein Stockwerk tiefer wurde offenbar gerade entkernt. Edda nahm den Umschlag entgegen, und dann flüsterte sie durch den Lärm von unten hindurch: »Komm mal mit«, zog mich von der Wohnungstür ein paar Schritte in den finsteren Flur und deutete auf die geöffnete Tür zum halben Zimmer, wo eine frotteebewachsene Daunendüne vor sich hindämmerte. Dann strahlte sie mich mit geöffnetem Mund an und hob den Finger. Ein betörendes Dramolett.
POLIER
mit Schlagbohrmaschine GRIIIIIEEEOINNNGG…!
ONNO
Chrrrrr… Chrrrrr…
POLIER
erbittert GRIEOING…! GRIIIEEOINGIOINGIO-INNNG…!
ONNO
CHRRRRRRR… Chrrrrr… Chrrrrr…
Das war zwanzig Jahre zuvor gewesen oder so. Sein Hochleistungsschlaf war immer Onnos Kapital gewesen, nun aber schien auch das, wie so vieles andere, etwelcher Altersbaisse anheimzufallen.
Die hübsche Zweieinhalbzimmerwohnung lag im zweiten Stock (eigentlich dritten, weil das Haus über Hochparterre verfügte). Die zweiundachtzig Quadratmeter waren aufgeteilt wie zwei unterschiedlich große, ineinander verschachtelte Quadrate. Wohnzimmer nebst kleinem Hauptschlafzimmer (verbunden durch Flügeltüren), mit knapp vier Meter hohen Wänden und Stuck, gingen auf eine kopfsteingepflasterte Nebenstraße hinaus – Aussicht: alte Platanen und Linden vor Jugendstilfassaden –; Eddas Pusselzimmer (sowie Schnarch-Exil) und die Küche (samt Zweitbalkon) auf den Hinterhof – Aussicht: schlichtere Hinterhoffassaden, Gärten, ein fülliger, erlauchter Kastanienbaum –; Bad und Korridor zum Treppenhaus. Der Vermieter war dem Hörensagen zufolge steinalt und verschroben sozial, und weil er seine Steuern niedrig halten wollte, hielt er auch die Mieten niedrig. Seit zwanzig Jahren wohnten Onno und Edda in dieser Wohnung, und seit zwanzig Jahren hatte sich der Zins, der von Anfang an ein Spottzins war, nicht erhöht. (Und wehe ihnen, wenn …)
Onnos Blase war zwar legendär. Doch murmelte er etwas, das klang wie »Warte, du un-« (-erfreulicher Vogel? – angenehmes Tier? – appetitliches Wesen? Er kam nicht drauf …), und schlurfte zur Toilette. Verrichteter Dinge kehrte er zurück, für seine Verhältnisse geradezu hastig, wie um die Gewißheit des Taubengehupes durch eigene Behendigkeit zu betäuben. Riß die blauen Vorhänge zur Seite und die Balkontür auf, um den Schockeffekt zu steigern, und in einem Schwall von Abscheu würgte er einen Kampflaut in den strahlenden Frühlingsmorgen hinaus.
Doch dieses aufgeplusterte Graugeflügel, dessen Kopf- und Schwingengefieder in den Nuancen gammelnden Schinkens schillerte, es spottete Onnos Attacke. Es täuschte gerade mal Eilfertigkeit vor wie eine Vettel – trat von einem Krallenfuß auf den anderen, machte mit den Armfittichen Aufrappelgesten, neigte den Kopf zur Seite, die Pupille schwarz und dumm wie der Tod inmitten eines lidlosen Rings von widerlich hübschem Goldbraun, und provozierte Onno zu einem Tritt ins Leere. Endlich sprang das Biest, flatternd die Plastikgießkanne umstoßend, aufs Geländer, untermalte die Zwischenlandung mit einem gutturalen Stöhnen und stieg dann –
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