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Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Titel: Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schulz
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nicht ohne eine weitere Finte Onnos herauszugefordert zu haben – mit klatschenden Flügeln ein Stockwerk höher.
    Onno schluckte konvulsivisch. Fast doch noch vergebens, als er entdeckte, was, inmitten eines Idioten-Ikebanas, auf dem nackten Balkonboden lag: ein einzelnes Ei, so groß wie ein Hoden und von embryonal durchscheinender Bleichheit.
    Onno rammte die Tür in den Rahmen. Riß die Vorhänge wieder zu – sperrte das kreißende Wetter aus. Unterzog sich einer ausgiebigen Wechseldusche und brannte anschließend einen Tee, der so steif war, daß die Klontjes schwammen. Nach dem zweiten und dritten Schluck erholte er sich ein wenig. Das Balkonproblem, er konnte das nicht, es mußte Edda lösen, wenn sie Feierabend hatte – wie, darüber durfte er nicht nachdenken, sonst gab’s gleich wieder Gänsehaut.
    Mit Frühstücksappetit war vor Mittag also nicht zu rechnen, und deswegen ignorierte Onno seinen knurrenden Magen. Glückte ganz gut. Weniger gut gelang, das Gefühl der Geiselhaft zu ignorieren. Onno machte gern Ausflüge auf den Balkon, ja, er wohnte gern dort – zumal bei solcher Witterung. Und den Zugang verwehrte ihm dieser Fiederdrache, Satansengel, Scheißegeier.
    Onno war kein besonders furchtsamer Mensch. Im Gegenteil, ein bißchen mehr Respekt vor den Schicksalsmächten etwa hätte ihm in seiner beruflichen Laufbahn zum Wohle und Vorteil gereicht. (Wissenschaftliche Tatsache, daß wir alle die Nachkommen von Angsthasen sind – sonst gäb’s uns schon jetzt nicht mehr.) Doch litt Onno, wie weiter oben erwähnt, seit seiner Jugend unter einer Phobie. Genauer: Alektorophobie. Noch genauer: Hühner köpfe .
    Zuwider waren ihm bereits Hühner als solche. (Als das Unternehmen Wienerwald einst eine TV – Kampagne fuhr, in deren Spots ein gerupftes Huhn in Strapsen steppte, litt Onno monatelang unter Impotenz.) Ja, er verabscheute stracks auch andere Vögel ab einer bestimmten Größe, legten sie bloß dieses verdruckste Hühnergetue an den Tag. Jene städtischen Amseln etwa, die unter den Büschen in den Vorgärten scharrten. Vor allem eben Tauben.
    Isolierte Hühnerköpfe aber waren das Grauen. Vitales, kristallines Grauen. Zu schweigen von Hahnen köpfen. Da drohten Panik, Wahnsinn, Ohnmacht, Koma, Tod. Dokumentationen über Voodoo, Bauernhöfe, Massentierhaltung u.   ä. mied Onno wie der Teufel das Weihwasser. Einmal war er aus dem Kino gelaufen, und wir mußten ihn mit der Taschenlampe suchen und stundenlang mit Bier hochpäppeln.
    Onno trug den Teepott ins Wohnzimmer.
    Neben ramponiertem, ererbtem Friesenbarock (Anrichte, Schrank und Sofa; letzteres ein derartiges Trumm – es mußte hier drinnen erwachsen geworden sein, raus kriegte man es jedenfalls nicht mehr), asbestverpestetem Schwedenpreßspan (Couchtisch, Regale), einem ausgeleierten Schleudersitz von Sessel samt Hocker und vier zerwurmten Flohmarktstühlen an ebensolchem Eßtisch gab es einen Flachbildfernseher (von mir ausgemustert) mit Video- und DVD – Player (von Raimund ausgemustert) sowie einen Sekretär samt PC (von mir ausgemustert). Die Holzdielen waren lückenlos mit Persern, Brücken und Läufern gedämmt, und Stukkatur wie Rauhfasertapete litten an Zware-Shag-Gelbsucht im Endstadium.
    Was man allerdings hauptsächlich an der Decke erkannte, weil die Wände ein Puzzle aus CD –, Platten-, Video-, DVD – und Bücherrücken, verstopften Setzkästen, gerahmten Bildern und Bildchen und Atollen ungerahmter Photographien waren. Die Krönung: das Paneel mit Gehörnen sowie einem Geweih über unerträglich perplexem Hirschgesicht. Schwiegervater Jäger, Onno Sammler – zack. Schien die Sonne durch die mit Pflanzen und Blumen überwucherten, von schweren, waldgrünen Samtschals eingefaßten Fenster herein, bezauberte eine Poesie des regsamen Staubfangs.
    Nichtsdestoweniger war alles immer sauber. Edda liebte zu putzen. Charakterlich keineswegs oberflächlich, liebte sie Oberflächen um so mehr. Staubsauger, Tischstaubsauger, Staubwedel, Staubtuch – wie befriedigend, mit all den fügsamen Werkzeugen all die gemütlichkeitsgeladenen Objekte Raum für Raum, Woche für Monat, Jahr für Jahrzehnt zu hegen und zu pflegen; all das ja etwas, das blieb, wie es war, während die Zwerge in ihrem Kindergarten ihr regelmäßig entwuchsen. Putzen war ihr Sport, ihre dynamische Meditation – eine Herzensangelegenheit.
    Onno drückte den On-Knopf auf der Fernsehfernbedienung und fuhr parallel schon mal den alterslahmen Rechner hoch.

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