Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
was.
Ach, Pussys, winkte Händchen finster ab. Fand in der Erinnerung daran, mit welch minimalem Aufwand an Chi er den erheblichen Sachschaden angerichtet hatte – einfach abrupt aufstehen! –, aber doch zu seinem Galgenhumor zurück. Ohne eine Miene zu verschieben, schürte er die Glut in seinen schwarzen Augen. »War bloß ’n bißchen unterzuckert, Diggär.«
Und dann wieder: Puter. Es gibt ’n Videofilm von seiner Klassenlehrerin, Diggär, Ausflug nach Wenningstedt, und da filmt sie die halbe Klasse da vor der Eisdiele, alle sind ungefähr gleich groß, alle bis auf einen, der ragt da ’n halben Meter aus der Menge raus, und alle haben ’n Eis in’ner Hand, alle bis auf einen, und einer ruft: Tibor hat sich ’n halbes Hähnchen geholt!
Puter.
Das war ungefähr das letzte Mal, daß er überhaupt an was teilgenommen hat, Schule und so. Fing dann bald mit Kiffen an und so. Ist dann zu Hause raus. Tante Votze eins in die Fresse und raus. Richtig in die Fresse, Diggär. Bam! Durchgeboxt, Alter. Regelrecht durchgeboxt.
Mit zwölf hat er seinen Dealer abgestochen, Digger. Notwehr. Der hat ihn zwei Jahre lang gemobbt und gefickt, Digger. Hat ihn bis aufs Blut gequält. Regelrecht gefoltert, Zehennagel gezogen und so. Einmal mußte er in ’nen Kantstein beißen, und er hat ihm ins Genick getreten. Hat’s überlebt, aber frag nicht wie, Digger. Die Weißrussen haben ihnen das Leben zur Hölle gemacht, Digger. Russen gegen Narbenbande. Kämpfe bis aufs Blut. Bis aufs Blut. Aber als er den Dealer abgestochen hat, Digger, da war endlich Ruhe. Da war endlich Ruhe, Digger. Vierundsechzig Stiche. Er weiß nichts mehr davon. Das letzte, was er weiß, ist, wie der Dealer ihn Votze nannte, und dann hat er nur noch Rot gesehen, und dann erinnert er sich erst wieder, wie er in der Jugendpsychiatrie aufgewacht ist.
Drei Jahre, Digger. ’türlich Therapie. Hat null gebracht. Er hat vier Therapeuten verschlissen, Digger. Und ein’ Pastor.
Drei Jahre, und dann raus aus Aalkoog. Bei so’m Kunstheini in so’m Hafenloft gewohnt, ab und zu ein’ geblasen, Wohnungsschlüssel, fertig. Auf der Straße verzinkte Maulschellen verteilt, Diggär. Jeden Tag ins Dojo, Diggär, jeden Tag, Diggär. Einmal mit’m Springseil um die Erde. Millionen Liegestütze, Diggär, Liegestütze, bis du Scheiße kotzt. Hammer, Diggär. Fick dich, Diggär . Morgens kalte Dusche, rohe Eier, hundert Liegestütze, Diggär, auf der Faust, einarmig im Wechsel. Gleich nach’m Aufstehn. Als Aal gehst du in die Kampfsportschule oder du gehst unter, Diggär. Is’ so. Regelrechte Ausbildung. Wie ’n Soldat. Immer viel Sport gemacht. Immer exzessiv. Eine Saison sogar American Football! Meistens aber Martial Arts. Er hat Onkel Bogdan geliebt, aber dieses Schwammige, Nachgiebige an ihm, das hat ihn immer angeekelt.
Und da gab’s so’n Spruch in Aalkoog, den kannte jedes Kind, den sagst du auf, wenn einer ausgewählt wird, zum Jackeabziehn oder Scheibe einwichsen oder Handyklauen oder so: Tsching, Tschang, Tschong / Aal oder Zähre / Schande oder Ehre, und dann wirfst du ’ne Münze. Aal oder Zähre, nicht Zahl oder Ähre. In Aalkoog sagst du Aal oder Zähre. Und Zähre ist ’n alter Ausdruck für Träne, Diggär. Hat Bimbo Beelzebub später in ’nem Rap verarbeitet, Diggär. Kennst das Stück? Aal oder Zähre / Schande oder Ehre / Galeere oder Gangsta / du hast die Waaahl. Dazwischen gib’s nix, Diggär.
Und das war kein Muschilecken, in der Kampfsportschule. Als Neuling bist du grundsätzlich direkt vom Dojo in die Notaufnahme, damit du weißt, wie der Hase läuft. Kommst du wieder: Respekt. Wenn nicht, denn nicht. Bei den Hühnern hast du natürlich Schlag, Diggär. Hammer, Diggär. Wenn die Blut sehn: Milcheinschuß, Diggär. Ist so. Ist Natur. Außer irgendwelche Knistervotzen, die sich lieber von ’nem soliden Appel befummeln lassen. Gab aber kaum welche in Aalkoog. Aalkoog, Alter, Aalkoog – da gilt Blutrecht, Diggär.
Er hat schon allen Scheiß gebaut, den’s gibt. War GS, Gewalttäter Sport. Mit den Hamburg Hools losgezogen, Digger. Heidenspaß gehabt. Meistens ist er aber Einzelgänger gewesen. Die andern haben sich immer zusammengerottet, er ist meistens Einzelgänger gewesen. Einsamer Cowboy und so. Er kann übrigens auch Messerwerfen. Ist Ehrenbürger von Solingen. Na ja. Aber wenn ihm nicht dauernd sein Hemppler dazwischen käme, wäre er schon längst ’n ganz Großer im internationalen Sport.
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