Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
hatte.
Schnorf hieß in Wirklichkeit Steamy Little Buffalo. Ogellalah. Alter Fahrensmann, vor Jahren in Hamburg gestrandet. Wann immer wir den Raum betraten, hockte er in der äußersten Ecke der Theke, wo das Schankholz bereits recht abgeliebt war, trank Feuerwasser, rauchte Unkraut und büffelte vor sich hin. Eine Art Freude zeigte er nur beim Eintritt Onnos. Wie manch anderer Zeitgenosse hatte auch er einen Narren an dessen gütigem Lächeln gefressen. Onno verfügte über etwas, das wir im Freundeskreis ›Charisma für Arme‹ nannten.
Womöglich war es die Säumigkeit unserer Montagsfee, die die Unleidlichkeit in der Stimmung an unserem Tisch noch verschärfte, nachdem bereits Onno so ungeschlacht vorgeprescht war. Raimund jedenfalls erwiderte auf dessen Annonce seiner neuesten Geschäftsidee nichts weiter als ein Geräusch, auf das man einen vulgären Scherzartikel taufen konnte, und auch EP und mir fehlten noch der Saft und die Kraft und die Herrlichkeit, uns mit Onnos Flausen zu befassen, bevor auch nur der Schatten Carinas erahnbar war. Außer Onno, der sein liebliches Grinsen grinste (leicht angeranzt allerdings, weil Botschaft verstanden) und, einzig verbliebener Raucher aus unserem Klüngel, sich eine seiner dünnen Zigaretten drehte, blätterten wir grunzend in den laminierten Speisekarten, die wir uns vom Beistelltisch geschnappt hatten. Nur, um uns abzulenken.
Denn die Küche des Tre tigli war widerlich bis mittelmäßig, je nachdem. Je nach wem, das hatten wir ebenso wenig je herausgefunden wie einen angeblichen Inh. Luigi Campone.
Niemand wußte, ob der noch lebte oder tatsächlich, wie Schnorf schwor, längst den Freitod gewählt hatte. »Wenn Selbstmord, dann«, wie ein wiederum anderer Urgast eines Abends behauptet hatte, »aus niederen Motiven! … Luigi? Luigi war ein Vollblutarschloch.« In den achtziger, neunziger Jahren sei er höchst angesagt gewesen – ungeachtet seiner Wucherpreise, ungeachtet seiner Kinderstube. Ständig lausig gelaunt, behandelte er die illustren Gäste wie Asylanten, und die interpretierten es als authentisch bukolisch. Al dente, al dente. Meine Swanse ieße al dente. Huch! Nein, dieser Luigi! Die Gattin eines Fernsehansagers a. D. hatte er mal – am Samstagabend, vor vollbesetztem Haus – als Schlampe eingestuft. Monatelang habe sie davon geschwärmt.
Endlich erschien Carina auf der Bildfläche, von Kopf bis Fuß in Charme gebadet, und wir wußten wieder, weshalb wir immer wiederkehrten.
»Prachtkind! Wo bleibst du denn!« wimmerte Raimund und hangelte irgendwie kopfüber nach ihrer Hand oder so.
»Na, ihr Sugardaddys?« Sie tätschelte ihm von hinten die Schultern. Lächelte uns über seinen nach wie vor vollgültigen Scheitel hinweg an. Gegen sie war Schneewittchen eine Kuh. Wir wärmten uns an unserem eigenen Augenlicht.
Bis auf Raimund. »Schuggaddd–?« Schnappte nach Luft.
Raimund war wirklich ein schöner Mann mit dichtem dunkelblondem, noch ungefärbtem Burschenhaar, immer noch ausdrucksvollen grauen Augen, nur leicht outriertem Kinn etc., und er hatte es stets waidgerecht eingesetzt. Jahrzehntelang. Erst neun Jahre zuvor hatte er sich entschlossen, Vater eines Stammhalters zu werden, und acht Jahre zuvor die Kindsmutter geheiratet. Liese. Vier Jahre später war auch noch Töchterchen Paula hinzugekommen, in die der Mann derart verschossen war, daß er manchmal von der Arbeit aus zu Haus anrief, um sich ihrer zu versichern. Nichtsdestoweniger, auf freier Wildbahn ließ er sich nach wie vor ungern als Daddy bezeichnen, schon gar nicht als Sugardaddy. »Klingt so nach Altersdiabetes.«
Nachdem die erste Runde Pils angerollt war, hellte die Atmosphäre an unserem Tisch schon mal ein wenig auf. Jeder von uns hatte seinen eigenen Grund, weshalb er die Stimmung mit einem Schuß Mißliebigkeit trübte. Raimund, weil er als Onnos ältester Freund von Onnos jüngstem Berufsplan verstimmt war. Onno, weil er als Raimunds ältester Freund von Raimunds Verstimmung verstimmt war. Ich, weil es mir als Raimunds und Onnos zweitältestem Freund oblag, die Verstimmungen zu beheben.
Doch ich opferte mich – bevor sie aufs neue würden aneinandergeraten können, der schöne Raimund und der unschöne Onno. Und zwar, indem ich mit all der Tücke des geborenen Anwalts die Ursache zur Mißstimmung des Vierten im Bunde aufrührte. Aus heiterem Himmel pinkelte ich ihm ans Bein: Ich, Christopher Dannewitz, nehme »dir, Ulli EP Vredemann«, der die historische
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