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Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Titel: Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schulz
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kleinen pseudopathologischen Vortrag, in dem unter anderem vorkam, daß man im Todesfall oft noch eine letzte Erektion bekomme. »Oder hast du grad eine?«
    Geistesabwesend war er nämlich dabei, mit zwei Fingern jene Venus zu tätscheln, die unter einem staubigen Pfennigbaum auf der Fensterbank ihren Gipspo exhibierte.
    EP lachte meckernd. Onno keckerte.
    »Ja, du sei bloß ruhig«, kläffte Raimund. »Du –«
    »Psst«, machte ich. Sonst erschrecke unser Carinamäuschen, und Schnorf schaue auch bereits, als schleudere er gleich den Tomahawk.
    Gedrosselt, doch um so druckvoller fuhr Raimund fort. Indem er mit der gesamten Ausdehnung seines rechten Arms längs über den Tisch, zwischen Tellern und Gläsern hindurch, die Distanz überbrückte, wandte er sich an EP. »Hast du«, fragte er ihn mittels Fingerzeig, »schon mal Noppes Sporttasche angehoben? Nach dem Training, mein’ ich? Wie leicht die ist?«
    »Nein?«
    »Dann mach das mal. Die ist so leicht …«
    »… die schwimmt sogar in Milch«, vervollständigte Onno, steckte das Stäbchen zwischen die Lippen und entzündete das fransige Ende. (Benutzte Zündhölzer, weil er dann angeblich weniger rauchte.) Er war Meister darin, Sprüche zu assoziieren. Werbesprüche, gegebenenfalls jahrzehntealte; Fernsehserienfigurensprüche von Al Mundy bis Al Bundy, Sprüche von toten oder halbtoten Verwandten – Hauptsache, sie paßten halbwegs. Um das beurteilen zu können, brauchte man aber oft ein gewisses Wissen. Zum Beispiel, daß die Lockerheit und Leichtigkeit eines Schokoriegels einst mit dem Slogan besungen wurde, der schwimme sogar in Milch.
    »Die wiegt praktisch nichts, das glaubst du nicht«, fuhr Raimund ungerührt fort. »Vergleich die mal mit deiner eigenen.« Er zeigte mit der Linken in Richtung Tresen, falls EP vergessen haben sollte, wo er seine Tasche abgestellt hatte. »Und weißt du, woran das liegt?«
    »Unterschied Noppensocken   /   Sportschuhe?«
    »Auch. Vor allem aber, weil ein Viets nicht schwitzt. Ein Baron von und zu Viets, der vermeidet es bitte sehr gern, zu schwitzen, vielen herzlichen Dank auch.«
    Da war was dran. Onno haßte es seit jeher, wenn ihm dieses Sauerkrautwasser aus den Haaren in die Augen rann. Über Hals und Nacken in den Kragen floß, ergänzt von Zuströmen aus den Achselquellen durch die Unterwäsche sickerte und, somit noch essigmäßig angereichert, bis in die Socken – so oder so ähnlich hatte er es mir mal erläutert. (Rein philosophisch war ihm nicht am Zeug zu flicken: Waren die alten Griechen auch fürs Schwitzen, die alten Chinesen dagegen!)
    »Und diese Abneigung gegen Eigenschweiß«, fuhr Raimund fort, »findet man auch zwischen den Zeilen von Vietsens tabellarischem Lebenslauf.«
    »Behaupten böse Zungen«, behauptete Onno. »Eigentlich nur Raimunds, nech.«
    Raimund war Leiter der Anzeigenakquisition bei der Hamburger Abendpost. Streßjob; im Wortsinn geschwitzt aber wurde auch dort natürlich kaum mehr. Sicher, es ging Raimund um das altehrwürdige Synonym Arbeiten = Schwitzen. (Unsere Väter hatten auf Fleiß durchaus noch Schweiß gereimt. Einst ostfriesischer Bauer, dann Hafenarbeiter in Hamburg, hatte Fokko Viets seinen Sohn anno 1973 getröstet, als der von Klempner auf Kontorist umsattelte: »Das’ doch keine Aabeit, Junge. Kanns’ doch bei sitzen.«) Dennoch war Raimunds Bemerkung unfair.
    Denn Onnos Laufbahn war so voller Stolpersteine, Schlaglöcher und Erdrutsche nicht wegen Faulheit. Nicht, daß er nicht faul wäre. Onno war faul. Verglichen mit Onno war Aas emsig. Doch war das nicht die Ursache für seine illustre Erwerbsbiographie. Er kämpfte ja stets gegen seine Trägheit an. Ausdauernd war er. Ausdauer hatte er wie eine Frau.
    Nein, begraben lag der Hund in dem sauren Grund, daß er einfach nichts so richtig konnte, unser Onno. Aber auch so gut wie gar nichts. Nun ja, ein paar Primzahlen, Kartoffeln schälen u.   ä. Darüber hinaus verfügte er über drei unstrittige Eigenschaften, ja Fähigkeiten, die sog. »Superkräfte« (Raimund; s. weiter u.). Um seinen Lebensunterhalt verläßlich zu bestreiten, reichte jedoch nichts davon hin noch her. In einer Gesellschaft, die nach Leistung bezahlte, war er eigentlich ein Fall für die Organbank.
    Nach wie vor Zeigefinger und Knöchel seiner ausgestreckten Rechten als Kimme und Korn nutzend, zielte Raimund Ullis breite Brust an und sagte: »Ich werde jetzt den Lebenslauf des Onno Viets vortragen, wie er der Hamburg-Eimsbütteler Agentur

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