Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
Außerdem entsprachen sie Onnos Blockstil durchaus. Nur verfügten sie über Innennoppe wie unsere auch, verdammt noch mal.
Tja. Drei, vier Montage Eingewöhnung, und Onno wurde noch stärker. Seither galt er als unschlagbar.
Daß er seine Statistenaufgabe partout nicht erfüllte, war für uns natürlich betrüblich. Lag darin der tiefere Grund, daß wir seine fünfundneunzigprozentige Siegquote im Einzelkampf auf Dauer einfach ignorierten? Es beißt die Maus keinen Faden ab: Für drei Viertel unseres Vereins spielte Onno insgeheim außer Konkurrenz. Die stillschweigende kollektive moralische Umwertung verlief auch individualpsychologisch reibungslos, denn Onnos Erfolge trotz seines ästhetisch verheerenden Spielstils anzuerkennen widersprach jedem einzelnen unserer Selbstbilder. Gut, es gewann, wer Punkte machte. Aber hatte, wer seinen Florettgegner mit der Fliegenpatsche zum Wahnsinn trieb, Respekt verdient?
Immerhin hatte Onno stets den Anstand besessen, seine Rekorde nicht weiter zu thematisieren. (Wenn er den jeweils jüngsten Triumph einfuhr, beklatschte er fair die Leistung des Gegners. Was für unseren Geschmack allmählich zwar einen Hautgout von Überheblichkeit annahm.)
In Anbetracht all dessen kam es natürlich einem Stich ins Wespennest gleich, als ich die historische, wettkampfmäßige Wahrheit des BSV Hollerbeck Eppendorf ungeschminkt aussprach. Während wir mausetote Spaghetti reingabelten und ein zweites Pils tranken, debattierten wir bei mnemotechnischer Rekonstruktion und Analyse der spektakulären fünf Sätze aufs lebhafteste – was nach einer Stunde zur erwünschten Befriedung des Abends führte:
Ulli genoß die verdiente Rehabilitation als erster Spieler seit langem, der immerhin einen zeitweiligen Zwei-null-Stand gegen Onno vorweisen konnte. Raimund genoß den Umstand, daß er aufgrund der obligatorischen Eins-drei-Niederlage gegen Onno keine historische Chance verpatzt hatte. Onno genoß, daß die Ungeschicktheit seines erwerbsbiographischen Vorstoßes vergessen gemacht war, und ich, daß mein Kalkül aufging. Die Stimmung war stabil.
»Also, nun noch mal«, stöhnte der schöne, geplagte Raimund schließlich, indem er auf Onnos Bierdeckel starrte. »Ist das dein Ernst, Knatterton?«
[3]
Privatdetektiv, öff, öff.
Detek tiv !…
Natürlich hatte Raimund recht: Einem Dreikäsehoch ließe man so was durchgehen, aber einem dreiundfünfzigjährigen Greis? Der in seinem Leben zudem bereits mit zahllosen Ausbildungen, Studiengängen und Erwerbstätigkeiten gescheitert war, sowie zweimal Konkurs gegangen? Und jedes einzelne Mal hatte er Raimund nach seiner Meinung gefragt – und sie jedes einzelne Mal ignoriert.
So gehörte es zu den onnomanischen Eigenschaften, wenn er seine durchaus vorhandene Sensibilität ausgerechnet dem ältesten Freund gegenüber vernachlässigte, ja bei dessen verständlichem Ingrimm auch noch einschnappte. (Wobei man bei einem Viets von vernehmlichem Einschnappen nicht sprechen konnte. Annähernd ausgedrückt, handelte es sich um das Gegenteil von Nichteingeschnapptheit.) Außerdem war ungeschriebenes Gesetz, daß wir im Vierermodus – d. h. in Anwesenheit Ullis – nicht mit allzu privatem Quark auftrumpften.
Doch inzwischen war die Stimmung, wie gesagt, stabil. Onno grinste. Kurbelte braunäugig an einer seiner stiftdünnen Zigarettchen. Machte aber nicht mal mehr öff, öff, und wenn Raimund noch einen Funken Hoffnung gehegt hatte, so erlosch der mithin. Er lehnte sich zurück, und das Knarren des labilen Drei-Linden-Möbels durchkreuzte sein Seufzen. Er tastete Brust und Bauch ab. »Ich krieg’ nicht mal mehr Sodbrennen. Ich muß gefühlstot sein«, unkte er. »Oder tot.«
Onno, der nicht den Sarkasmus, sondern nur ›Sodbrennen‹ mitgekriegt hatte, hielt die Hand an die linke Kopfseite. »Was?«
»Du brauchst deine Ohren wohl auch bloß noch, um die Lesebrille zu befestigen!« rief Raimund. Dessen eigene zunehmende Harthörigkeit nicht ins schöne Selbstbild paßte. Und deshalb als nicht existent galt. »Ich sagte, ich muß gefühlstot sein! Oder tot!«
Mit niedergeschlagenen Schlupflidern grinste Onno und verzichtete auf einen Gegenschlag. Grinsend beleckte er das Blättchen. Wer ihn nicht schon so lange kannte wie Raimund und ich, mochte derlei Querschädeligkeit mit Verlegenheit verwechseln. EP verfolgte das kleine Duell mit unverhohlenem Glucksen.
»Nein, nein – keine Bange«, beruhigte ich Raimund unterdessen und improvisierte einen
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