Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
Chance, die indolente chinesische Unschlagbarkeit von Celluloidtitan Onno Noppe Viets, unter der wir, die wir bekanntlich nichts als unwürdige Nichtvietse seien, seit Jahren litten, zu durchbrechen, ja zu brechen, um womöglich eine pingpongpolitische Neuordnung, Silberstreifen am Horizont und bla bla, »einzuleiten, verpaßt hast, krumm«.
»Einzuleiten. Verpaßt hast. Krumm«, äffte Ulli kühl. »Winkeladvokat.«
Denn natürlich hatte er die Partie noch verloren. Zwo zu drei.
Es war so:
In unserer Jugend hatten wir alle vereinsmäßig Tischtennis gespielt (bis auf Onno). Dieses unser aktuelles montägliches Training aber – wir pflegten von Training zu sprechen, als hätten wir je einen Ernstfall zu erwarten – hatte erst fünf Jahre zuvor begonnen, peu à peu zum »Höhepunkt der Woche« aufzurücken, wie Raimund in einem schwachen Moment gestand (womit er für uns alle sprach).
Aufgrund einer Schnapsidee hatten er und ich unsere Mitgliedschaft im Betriebssportverein Hollerbeck Eppendorf erneuert (ehem. Fabrik für Kupferfittinge). Zuletzt hatten wir dort zwanzig Jahre vorher Volleyball gespielt. Nun wollten wir, dazu taugten die Kniegelenke noch mit Ach und Krach, die Tischtennissparte wiederbeleben. Deren einziger williger Hinterbliebener Ulli Vredemann lautete. Deshalb redeten wir Onno ein, Bewegung tue auch ihm gut. Als wären wir uns nicht sicher, daß ein Onno Viets sich auch beim Sport wie seit jeher bewegen würde: ergonomisch. Ergo wenig.
Zugegeben, offiziell hatten wir Onno als fehlenden Doppelpartner rekrutiert, insgeheim aber als Sparringssack. Nichts gegen allseits gleiche Spielstärke. Doch für die Psychohygiene der Mehrheit, also für eine harmonische Gruppendynamik, leistete kaum etwas bessere Dienste als ein stabiles Opfer. Keine Pfeife, wohlgemerkt. Mithalten sollte es schon. Nur verlieren.
Woran Onno sich dann selten hielt. Das war nicht vorherzusehen gewesen.
Zumal er einen Stil spielte, der mit dem Attribut ›unorthodox‹ nur allzu arg verniedlicht wäre. Raimund nannte ihn »sittenwidrig«. Das traf es exakt. Nicht nur, daß Onno darauf bestand, statt in Sportschuhen auf diesen Noppensocken zu spielen. (»Warum?! Wa rum ?!!« tobte der schöne Raimund. »Warum nicht , nech«, sprach Häuptling Rollendes R.) Sondern darüber hinaus verfügte er über null Vorhand, aber Rückhand konnte man »das« (Raimund) auch nicht nennen. In Anlehnung an den fernöstlichen ›Penholder‹-Griff prägte wiederum Raimund die genauestmögliche Bezeichnung »Zenholder«. Onno vermochte damit sogar zu schmettern, indem er den Ellbogen hochriß wie ein abschmierender Flugsaurier. Jeder andere würde sich die Schulter auskugeln. Und das alles auch noch mit links! »Paralympisch ohne Not.« (Raimund)
Onnos Kraftaufwand an der Tischtennisplatte lag also unwesentlich höher als an der Würstchenbude. Flips und Schüsse spielte er nur gelegentlich, doch wenn, dann so sicher wie alle anderen Schläge. Meistens blockte er einfach alles weg, was scharf genug daherkam, und was nicht, das schupfte er. Spielten wir nicht scharf genug, schupfte er uns unser Spiel kaputt. Er schupfte uns zur Weißglut, aber wenn wir entnervt wieder anziehen wollten, blockte er kompromißlos. Er spielte weder definitiv defensiv noch offensiv, er erzwang Fehler oder wartete sie mit der Seelenruhe einer Leiche ab. Es war, wie einmal mehr Raimund es mit der Führungskräften eigenen Präzision ausdrückte, »zum Kotzen«. Nie wurde man das bittere Gefühl los, »sich selber in die Scheiße zu reiten«.
Anfangs dachten wir noch, es liege an Onnos Schläger. Es handelte sich um einen, den Onno von irgendeinem Lehrgang beim Barras anno 1976 hatte mitgehen lassen. Klang mittlerweile wie ein Kochlöffel, doch hatte der Belag Außennoppen (daher Onnos Spitzname, gar nicht mal wegen der Socken). Außennoppen waren nach § 11 verpönt. Außennoppenbelag verleiht dem Ball nicht erst durch raffinierten Ober- oder Unterschnitt konkurrenzfähiges Flugverhalten, sondern schon allein durchs Material. Onno hielt den Schläger einfach hin, und das Noppenprofil katapultierte den Ball zurück, der dabei flatterte wie ein Dum-Dum-Geschoß; es kehrte seinen Schnitt um und machte ihn schwer berechenbar.
Da kam Onnos Fuffzigster gerade recht. Kurzerhand schenkten wir ihm einen hochwertigen Schläger aus Balsaholz. Mit erstklassigen Belägen. (Wir hatten kurz erwogen, nur die Rückhandseite … aber das erschien uns dann doch zu vorwitzig.)
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