Op Oloop
Beispiel mit einem Schlag, der zum knock out reicht, ist es richtig, das zu machen, was er tat: entschlüpfen. Doch die Lektion war erteilt. So gut erteilt, daß sie Van Saal an jene denken ließ, die Proudhon – der Verfechter der Theorie, Eigentum sei Diebstahl – bei jener Gelegenheit erhielt, als ein edler Widersacher ihm mit diesen Worten eine kräftige Ohrfeige verabreichte: »Ich gebe sie Ihnen als Ihr höchsteigenes Eigentum …«
Auf dem Weg, den Daniederliegenden weitere Hilfe zu leisten, stieß Van Saal mit dem Chauffeur zusammen, der eilig den Arzt holen lief. Und im Vorübergehen konnte er das Gesicht der Verlobten sehen, die in ihr Schlafgemach getragen wurde. Welch schmerzliches Pathos! Er war berührt. Ihr kleines Engelsgesicht hing übel zugerichtet herunter, schlaff, mit keinem weiteren Ausdruck als dem ihres Schreis, der sich in ihr welkes Blütenfleisch eingebrannt hatte.
Op Oloop lag weiterhin lang ausgestreckt da, allein wie ein Schiffbrüchiger. Van Saal nahm seine Hände, bewegte die Arme. Der Atem belebte sich kaum. Ab und zu flackerte in seinem Gesicht ein ferner Schimmer des Lebens auf, das sich nun vielleicht in Träumen fortsetzte. Ein ferner Schimmer des Geistes: Leuchtturm der eigenen schiffbrüchigen Materie! Schwache Seufzer. Und sonst nichts.
Die Stille versank in der Stille. Piet Van Saal wußte weder was er tun noch was er sagen sollte.
Zum Glück traf der Arzt ein.
Der gepflegte Fünfzigjährige war der Vater des gleichnamigen Arztes, der zuvor da gewesen war. Da er ein mit Ehrungen und Geld überhäufter Mann war, kam er eher, um den von seinem Sohn in diesem Haus beschädigten Familienruf wieder zu Ehren zu bringen, als um des Notrufs willen.
Als er ihn erblickte, kam der Konsul von Finnland herbei, um ihn zu begrüßen.
»Hallo, Doktor, wie sehr ich mich freue, daß Sie hier sind! Es war bereits ein anderer Mediziner da. Er hat die Ursache nicht gefunden …«
»Ja. Mein Sohn: Daniel Orús Junior.«
»Ihr Sohn! Ich wußte nicht, daß Sie einen Sohn haben, der Arzt ist.«
»Doch. Er hat mir bereits alles erzählt. Ich komme mehr ihm zuliebe, als des Kranken wegen. Allem Anschein nach handelt es sich um einen Simulanten, der Wahnsinnsanfälle vortäuscht, um so wer weiß was für unaussprechliche Absichten zu bemänteln.«
»Ich habe so etwas schon geahnt, warum es leugnen?«
In dieser Notlage kam die »Simulation« gerade recht.
Der Arzt ließ seinen Blick über das Bild schweifen, das der Statistiker bot. Mehr interessierte ihn jedoch der Bericht von seinen Handlungen, und so verwickelte er sich in eine lange und eingehende Unterhaltung mit dem Hausherrn, die sich auf weitausholende Fragen, knappe Antworten und a priori -Schlüsse beschränkte. Dann erst ging er zum Patienten zurück, selber in jeder Hinsicht patient. Er kniete sich vor ihm hin, betastete ihn, horchte ihn ab, öffnete ihm die Augen, beklopfte ihn tausendfach und testete die Reflexe. Doch Op Oloop blieb fast unverändert; nur hatte sein Gesicht nun durch den erstaunten Zug um seinen entspannten Mund und die halbverhängten Pupillen eines Opferlammes einen entrückten Ausdruck angenommen. Als Doktor Orús sich aufrichtete, nahm ein wissender Blick die Diagnose vorweg.
»Ich kann Ihnen versichern, daß dieses Individuum bewußtlos ist. Lipotimie. Mit Sicherheit haben wir es mit einem sympathikotonischen Temperament zu tun. Eine Spritze wird ihn wieder zu Bewußtsein bringen. Ein emotionaler, erregbarer, unbeständiger Typ. Keine Sorge, das geht vorbei. Eine Neigung zur Beklemmung. Vielleicht ein Kandidat für manische Depression. Diese Erstarrung, die sein Gesicht zeigt, ist typisch für die melancholia attonita. Die Melancholie ist immer ein Syndrom. Nach dem, was ich beobachtet habe, und dem, was Sie mir gerade erzählt haben, besteht kein Zweifel, daß seine Ohnmacht einem psycho-neuropathologischen Anfall gehorcht …«
»Einem was?« schrie Piet Van Saal, bereits verärgert über seinen wenig zuvorkommenden Tonfall. »Sehen Sie! Sehen Sie hier, hinter dem Ohr.«
Der Arzt war verdattert.
Das ganze Gerüst aus Geschwätz lag vermengt mit dem Bauschutt der Scham zu seinen Füßen. Er fühlte den Schandfleck des Betrugs. Und während er den Konsul von Finnland mit einem haßerfüllten Blick starr ansah, nahm er seinen Hut vom Haken und machte sich bereit zu gehen.
Hals über Kopf kam das Mädchen die Treppe hinuntergestürzt.
»Den Doktor, schnell! Der Doktor soll kommen! Señorita
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