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Op Oloop

Op Oloop

Titel: Op Oloop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juan Filloy
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feierte.
    Doch Op Oloop war schon nicht mehr derselbe. Sein Blick entfloh in dunstige Ferne. Während die Gäste die Schmackhaftigkeit der Gerichte lobten, verschlang er nostalgische Gefühle genauso, als schluckte er bittere Pillen. Ein leichter Seufzer begleitete jeden Anfall von Weltschmerz. Erik trug die Schuld daran. Er hatte die größte Tat seiner fernen Jugend heraufbeschworen. Wie also der Vielzahl an seligen und unseligen Erinnerungen entfliehen? Auf einmal versuchten diese durch den Alkohol angestachelten Erinnerungen über seine Lippen zu treten, und da es ihnen nicht gelang, kamen sie als Tränen in seinen Augen zum Vorschein.
    Er mußte sich anstrengen, um sich zu überwinden. Er wußte mit Jean Rostand, daß »die wahrhafte moralische Courage darin besteht, das eigene Bild vor den anderen zu verfälschen, um es vor einem selbst zu retten«. Und indem er seine persönlichen Rückerinnerungen in eine neue Richtung lenkte, beschränkte er sich darauf, schweigend zu essen, in dichtes Schweigen gehüllt zu essen.
    Der Name Rostand lenkte sein Denken wie durch Zauberei auf andere Wege. Er betrachtete es als völlig natürlich, daß der Sohn eines Dichters zu einem Gelehrten würde. Das ist keine Umkehrung, das ist Kontinuität. Er selbst hatte mit dem Erreichen des Jünglingsalters, nach der Lektüre seiner heimischen Lieblingsautoren – Pietari Päivärinta und Juhani Aho – das Vergnügen gehabt, ländliche Erzählungen zu verfassen, und den Wagemut, nach dem Studium der Werke von Johan Henrik Erkko ein Drama zu skizzieren. Bereits erwachsen, erschien ihm die Literatur lachhaft: das Spiel schwärmerischer Kinder gegenüber der Schwere der kosmischen Gesetze, ein Kitzeln in der Luft gegenüber dem Schrecken des menschlichen Schicksals. Lediglich die Wissenschaft, lediglich die Wissenschaft … Und er vertiefte sich in die Zahlen, abstrakte Kapseln, die die Essenz aller Weisheit enthalten.
    Während er diesen Gedanken nachhing, konnte er es wegen der Trägheit seines Geistes nicht verhindern, daß das Gedachte allmählich zu Worten wurde. So kam es, daß er – genau in jenem Moment, in dem die Gäste anfingen, über seine Insichgekehrtheit in Besorgnis zu geraten –, ohne sich dessen bewußt zu sein und bereits bar jeder Selbstkontrolle, erklärte: »Wir leben in rauhen Zeiten, ohne Romantizismus oder Bohemie. Zeiten, in denen jeder mit seiner persönlichen Gleichung dafür eintreten muß, die unbekannten Größen zu erhellen, die er in sich trägt. Wenn dies geschieht, ist das Leben für einen und für alle gewonnen. Und man genießt die Fülle des Panoramas, das umso reiner ist, je mehr Fehler man ausräumt …«
    »Großartig. Doch aus welchem Grund sagen Sie das?«
    Op Oloop, aufgeweckt, fuhr erschrocken zusammen und schüttelte den Kopf, als würde er soeben erwachen. Der Hof seiner dunklen Augenringe brannte. Er lächelte mit einer betrübten Grimasse und murmelte: »Delirien … Delirien …«
    »Es ist bemerkenswert, daß du in deinem Alter noch genauso delirierst wie damals, als wir auf das Gymnasium von Oulu gingen, und du für die Tochter des Literaturlehrers deliriertest …«
    »Man ist immer man selbst, mathematisch und psychologisch.«
    »Ja, aber du versenkst dich wie ein Felsbrocken im Meer. Du bist ein Felsbrocken aus Meditationen. Und das ist gefährlich! Ich habe nicht damit gerechnet, daß es im Meer von Bordeaux …«
    »Aus … Bordeaux.«
    »… Felsbrocken gäbe. Kannst du dir meine Verantwortung als Kapitän nicht vorstellen? Nichts da mit Grübeleien. Nichts da mit Felsbrocken.«
    »Um die Wahrheit zu sagen, Op Oloop«, fügte der Zuhälter hinzu, »Ihre Nachbarn haben recht. Ich habe Sie beobachtet. Mit welcher Leichtigkeit Sie sich in Ihren eigenen Gewässern versenken! Der innere Monolog ist immer mehr wert als der voltairsche Dialog. Ich rühme ihn. Ersterer zeigt, daß die Persönlichkeit gereift ist. Zweiterer, daß sie noch etwas von außen erwartet. Die kultivierten, monströs kultivierten Menschen der Zukunft werden an einer Sprachlosigkeit intellektueller Art leiden, hervorgerufen von ihrer Absicht, nicht zu sprechen. Sie …«
    »Oh, nein!«
    »Doch.«
    »Nein, nein.«
    »Doch.«
    »Nun gut, ich muß offen sein. Erik hat mir mit seiner Anspielung auf die Einnahme von Helsinki gewisse Episoden ins Gedächtnis gerufen, an denen ich teilhatte. Während meiner Abwesenheit war ich ein in die Vergangenheit gelehnter Mann. Noch habe ich mich nicht ganz aus dieser

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