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Op Oloop

Op Oloop

Titel: Op Oloop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juan Filloy
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Seite gesehen, in den Quartieren der Roten Garde im Januar 1919. Das Geklirre der politischen Leidenschaft übertraf das Geklirre der Schlachten. Nichtsdestotrotz wohnte in unseren Herzen ein kalter Mut, ein Mut, der uns die Zähne zusammenbeißen ließ und uns mehr und mehr dazu antrieb, die Unterdrücker anzugreifen. Oftmals habe ich bei der empirischen Betrachtung der Geschichte über den algebraischen Willen des Schicksals nachgegrübelt. Wir sind Zahlen und die Ereignisse Arithmetik. Die Einnahme von Helsinki und der darauffolgende Zusammenbruch der Klassenunterschiede ließen uns am Grundsatz unserer Gerechtigkeit festhalten. Der Soldaten- und Arbeiterrat war eine idiotische Illusion. Der Rote Terror eine krankhafte Verirrung. Denn die negativen Zahlen werden positiv, wenn man sie an eine andere Stelle schiebt, und die Ereignisse gleichen wie im arithmetischen Mittel die Extreme und die Durchschnittswerte aus, den Extremismus und die Mittelklasse, das Extreme und das Mittelmäßige … In der Tat, Deutschland, das nach dem Vertrag von Brest-Litowsk die Vormundschaft über Finnland erlangt hatte, eilte der Weißen Garde zu Hilfe. Und der bolschewistische Erfolg erlitt in den Flüssen aus Blut Schiffbruch, die von den Von der Goltz'schen Horden und den zielbewußten Henkern des Weißen Terrors entfesselt wurden.«
    »Von der Goltz? Der zur Hundertjahrfeier der Mai-Revolution hier war?«
    »Eben dieser. Die tollwütigsten Generäle sind es, denen die Nationen die größten Ehren zuteil werden lassen. Sie werden geschickt, um ihre mit Lorbeeren verzierten Halsbänder und vor niederen Instinkten geifernden Zähne zur Schau zu tragen. Im Mai war die Revolution niedergeschlagen. Ich floh und trug auf dem Rücken meine Jugend wie einen Rucksack voll Verbitterung. Ich war fünfundzwanzig Jahre alt … Ich war fünfundzwanzig Jahre alt …«
    Er wiederholte den Satz echoartig, als hallte er von den Mauern des Tales wider, das vor seinen Augen erschien. Und er schwieg.
    Seine Hände – psychische Hände – eilten ihm daraufhin zu Hilfe. Es schienen die Hände einer Mutter zu sein, die auf seiner Stirn das Fieber der Erinnerung abkühlten und auf dem Haar die Elektrizität der Ideen zurechtstrichen.
    Die Kellner trieben unerschütterlich den Ablauf des Dinners voran.
    Die Gläser färbten sich mit dem Purpur des Mercurey.
    Eine grüblerische und düstere Stille breitete sich aus.
    Es war dringend vonnöten, daß irgend jemand sie durchbräche. Cipriano Slatter nahm sich dieser Aufgabe an. Er war von der Erzählung berührt worden. Sein Galgengesicht in die Länge ziehend, stieß er hervor: »Ich bin mit Ihnen einer Meinung über die Fatalität des unfruchtbaren Opfers, Op Oloop. Es ist fürchterlich und schmerzhaft. Wofür lohnt es sich zu kämpfen? Was ist es wert, auf volles Risiko zu setzen? Einen Scheißdreck. In der Politik sieht der Gegner die Großzügigkeit als eine Schändlichkeit an, während für den Genossen ebendiese Schändlichkeit wiederum eine Tugend ist. Die Politik ist die Pest.«
    »Genau, die Pest!« bestätigte Peñaranda. »Die Politiker sind allen auf die Nerven gegangen mit ihren Prinzipien, haben die Geduld mit den strengsten Vorbildern strapaziert. Und was dann? … Sie sind alle gleich! Nachdem sie inbrünstig ihre historische Rolle postuliert haben, verfolgen sie, satt bedacht mit Pfründen und Ruheposten, den Kurs der Vortragskunst …«
    »Sagen Sie mir, sind Sie nicht öffentliche Angestellte?« fiel ihm der Student ins Wort.
    »Doch.«
    »Doch.«
    »Also?«
    »Was, also? Ist das Gehalt vielleicht ein Gunstbeweis? Wir sind niemandem Dankbarkeit schuldig!«
    »… und selbst wenn wir es wären, handeln wir völlig korrekt darin, diese Erwartung zu enttäuschen. Ich habe spät gelernt, daß die Anständigkeit ein schwerer Ballast ist. Meine Kultur hat mich als ›Flügel-Mensch‹ prädestiniert, geeignet, um am Firmament der öffentlichen Wertschätzung aufzusteigen. Doch die Anständigkeit hat mich im Rahmen des Notwendigen kleingehalten. Ich habe mich mit Schulden durchlöchert. Und mich in einen Schwamm der Staatskasse verwandelt: in einen ›Mund-Mensch‹.«
    »Soll das heißen, daß Sie gar nicht fliegen?« fragte der Zuhälter ironisch.
    »Ganz genau, Señor, ich fliege nicht«, antwortete der Luftfahrtkommissar mit absoluter Ernsthaftigkeit.
    Der Statistiker betrachtete gutgelaunt seine Gäste.
    Die leidenschaftliche Stille, die auf die Unterbrechung folgte, erfreute ihn, anstatt

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