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Op Oloop

Op Oloop

Titel: Op Oloop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juan Filloy
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von Poil de Carotte. Denn ich nehme von niemandem Begnadigungen an, und noch viel weniger von demjenigen, der versuchte, mir mit einer rosigen Zukunft das rote Blut von zwanzigtausend während des Weißen Terrors ermordeten Kameraden vergessen zu machen. Ich blieb also in Frankreich, einem wundervollen und unerträglichen Land. Ich blieb und litt unsäglich, denn ein Nordländer leidet in romanischer Umgebung immer unter der seichten Tiefe der Liebe, der Ordnung und der Freiheit.«
    »Das verstehe ich nicht richtig«, unterbrach Marietti.
    »Ich bin es, der sich schlecht ausgedrückt hat. In Liebe und Freiheit gelten bei den Völkern, die rund um die Ostsee angesiedelt sind, andere Regeln. Dort ist die Leidenschaft erzogen worden. Hier ist die Liebe ungezähmt und die Freiheit widerborstig. Auch die Ordnung ist anders. Bei uns liegt in der spontanen Entsagung des Willens eines jeden die Hommage an das kollektive Wohlergehen. Gehen Sie dorthin und alles ist geglättet: die Selbstlosigkeit und die Sittsamkeit. Hier ist jeder nur auf sich selbst bedacht und bemüht sich um das eigene Wohlergehen. Derart bietet das soziale Gesamtgefüge eine schroffe und schwergängige Oberfläche. Ich bekenne getreulich, daß ich am Anfang wie ein Fußlahmer daherklapperte …«
    »Wo Sie schon von Lahmen sprechen – Ihre Übersetzung von Claudus in via …«
    »… antecedit cursorem extra viam.«
    »… ›hinkt‹ daran, daß Sie den Lahmen nicht erwähnen …«
    »Das ist wahr. Ich habe paraphrasierend übersetzt. Die wörtliche Übersetzung würde ungefähr so lauten: Der Fußlahme, der den rechten Pfad nimmt, trifft vor dem Läufer ein, der vom Weg abkommt.«
    »Darin stimme ich überein. Ich bewundere die drei Claudes …«
    »Sagen Sie mir: Sind Sie ein Zuhälter oder ein Philosoph?« bedrängte ihn der Student und provozierte eine Lachsalve.
    »Beides. Ein Zuhälter, wenn ich herabsteige, um mit Ihnen zu sprechen; ein Philosoph, wenn ich heraufsteige, um mit Op Oloop in einen Dialog zu treten.«
    »Treffer versenkt!«
    »Ich sagte, daß ich die drei berühmten ›Lahmen‹ Frankreichs bewundere: Claude Bernard, Claude Monet und Claude Debussy. Sie, Op Oloop, der Sie die Menschen pythagoreisch messen, kennen ihre Bedeutung. Und damit ist es genug. Entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbrochen habe.«
    »Keine Ursache. Ich bewundere sie auch. Wenn auch nicht ganz so sehr wie die lahmen Frauen, deren Defekt durch den muskulären Einfluß, den er auf ihr Geschlecht ausübt, zu einer Quelle merkwürdiger Wollüstigkeiten wird … Montaigne, ein guter Wein- und Frauenkenner, ist meines Wissens der einzige, der meine Erfahrung vorweggenommen hat. Doch ›hinken‹ wir nicht weiter … Kehren wir zurück. In Paris lebte ich vier Jahre lang in einer Dachgeschoßwohnung in Montparnasse, zusammen mit einem Yankee, der diese vier Jahre als ein Besäufnis zur Feier der Waffenruhe nutzte. Er war unersättlich. 1922 kam sein Vater, ein Tabakhändler aus Kentucky, um ihn abzuholen, doch er hatte es sich bereits zum System gemacht, die Waffenruhe von ›La Cigogne‹ zu ›La Coupole‹ ziehend zu feiern, von ›Vicking's‹ zu ›La Rotonde‹, und weigerte sich zurückzukehren. Die monatlichen Wechsel blieben aus. Um ihn auf den rechten Weg zurückzubringen, organisierte der Vater ihm durch einen Senator seines Staates einen Posten bei der ›American Battle Monument Commission‹. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Doch er schloß einen Pakt mit mir. Wir teilten den Dollarlohn durch zwei, und ich würde seine Aufgabe erfüllen, während er weiterhin die Waffenruhe feiern könnte … Der Mangel an Kontrolle gestattete die List. Und als es herauskam, war die Qualität meiner Arbeit bereits ein unbestreitbares brevet. In der Tat, ich erhielt die Stellung des Leiters des Archivs im ›American Graves Registration Service‹ beziehungsweise der Amtsstelle, in der die Gräber der in Frankreich gefallenen amerikanischen Soldaten registriert wurden. In dieser Organisation, die auch für die Friedhöfe und Kriegsdenkmäler zuständig ist, fand meine arithmosophische Berufung Anlaß, um die Methode zu vertiefen. So verwandelte ich mich in einen makabren Strategen. Das ganze ruhende Heer – achtzigtausend Expeditionsteilnehmer – gehorchte meinem Befehl. Ich war der Organisator des Todes, in denselben Gebieten, in denen die alliierten Kommandos zur Schlacht geblasen hatten.«
    Er schwieg.
    Es war ein freier Fall in die

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