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Op Oloop

Op Oloop

Titel: Op Oloop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juan Filloy
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man's land! Fragmente der Hölle. Flöhe, Erstickung und Skorbut. Ich kenne deine tiefe Tragödie aus Spaten und Schutt. Aus erstarrten Ängsten und plötzlichem Wahnsinn. Ich habe dich gedrängt und du hast mir geantwortet. Du wußtest, daß ich damals ein Funktionär der Traurigkeit war. Du wußtest, daß ich die unnützen Ehrenbekundungen haßte. Du wußtest, daß ich einsam durch die Schatten deines Grundes wandelte, auf der Suche, immer auf der Suche. Und du hast mir geantwortet: ›Hier sind sie! Heb sie auf! Pflanze sie in das Gedächtnis der Menschen ein! Berechne sie in den Bilanzen der Welt!‹ … Ich habe sie aufgehoben. Sie sind bereits begraben. Doch nicht so, wie ich es wollte, in der Vulva ihrer Mütter und der Vagina der Zivilisation, sondern in einem fiktiven Lustgarten, flankiert von zwei Flaggen … Es ist nicht meine Schuld. Mein Spiegel zerbrach vor Schreck. Was für schwache Bilder! Phantasmen, keine Individuen! Dennoch, hier sind ihre Karteikarten. Alles ordentlich, alles korrekt. Doch wie ihre verwesten Nerven und ihre blutlosen Seelen beleben? Es ist nicht meine Schuld. Sieh mich an! Ich bin derselbe makabre Stratege. Derselbe Funktionär der Traurigkeit. Derselbe Statistiker, der in die Zahl der Kreuze, in die methodische Ordnung des Todes alle Koeffizienten der menschlichen Solidarität legte. Sieh mich an, Niemandsland: Ich bin Op Oloop!«
    Die erste Flasche Champagner wurde geöffnet. Der Korkenknall, der mit dem letzten Wort zusammenfiel, bildete einen klangvollen Schlußpunkt.
    Der Gastgeber saß hölzern und blaß da. Ein leichtes Zittern durchlief das Oval seines matten Teints und der warmen Augen und zeigte, daß die Szene für ihn weiterging. Unversehens versetzte ein Kopfschütteln alle in Aufregung. Er schien einen Schwarm von Vampiren zu verschrecken, der sich in seinem Gedächtnis niedergelassen hatte. Doch sofort fiel er in seine hölzerne Versunkenheit zurück. Dann lockerte er seine Gesichtsmuskeln, und es trat ein seliger Ausdruck auf seine Züge. Und während er sein Antlitz emporhob, senkte er die Lider, als atme er Licht.
    So blieb er sitzen.
    Es ist schwierig, ein Gleichgewicht in der unterschiedlichen Spannung der Temperamente zu erzielen. Wenn Op Oloops Erzählung auch das Wunder der allgemeinen Aufmerksamkeit gelungen war, so ließ sie doch im emotionalen Register eines jeden etwas anderes anklingen. Vor allem seine düsteren Töne und sein pamphletartiges Geschrei verletzten die rote Reizbarkeit von Erik und den offenen Skeptizismus von Gastón. Vernünftig wäre angesichts der krankhaften Komplexität des Falles Respekt gewesen, nichts als Respekt. Doch nicht alle verfügen über das Feingefühl, diesen nach Einschätzung der Umstände zu wahren. Und während der Zuhälter den seinen auf einem Bord der Behutsamkeit zurückhielt, kippte der ehemalige U-Boot-Kapitän seine Schmährede ätzend wie eine Flasche mit einer schmierigen und übelriechenden Flüssigkeit aus.
    »Ich wünschte, ich müßte nicht sprechen. Doch das ferne Vaterland gebietet es mir. Und ich gehorche. Ich kann deinen Undank nicht verstehen, so sehr ich ihn auch hin- und herwende. Finnland hat dir das Leben geschenkt und du machst es herunter. Finnland hat Licht in deine Dunkelheit gebracht und du verleumdest es. Warum? Das einzig Richtige nach deiner Flucht wäre gewesen, zu vergessen. Finnland hat zuerst vergessen. Und als es dich erneut rief, antwortetest du mit einem Meckern. Das ist schlecht. Ich bestreite nicht, daß dein bolschewistisches Ideal aufrichtig ist. Doch es interessiert mich nicht die Bohne. Ich zolle deinem Scheitern Applaus, und dem deiner Kumpane in dem hinterhältigen Versuch von 1919, mein Volk zu russifizieren. Eine schöne Sache hattet ihr vor! Der rote Schrecken war der unheilvollste, soweit die finnische Bevölkerung nur denken kann. Du weißt das. Meine Verwandten aus Yrjölä und deine vermögenden Onkel aus Riihimaki dienen als Beweis. Wie soll ich also zulassen, daß du so daherredest? Nein! Niemals! Ich habe mich sofort von den Von der Goltz'schen Kriegsscharen anwerben lassen. Ich danke dem glücklichen Zufall, daß ich nicht von Angesicht zu Angesicht auf dich gestoßen bin. Ich war aufgebracht und entrüstet. Gerade hatte ich meinen Mut und meine Erfahrung einer vom vereinigten Pöbel umzingelten Nation dargeboten …«
    »Einen Moment!« verlangte Gastón Marietti, ohne aus der Ruhe zu kommen. »Wenn Sie in diesem Ton auf die alliierten Mächte anspielen, tun

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