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Op Oloop

Op Oloop

Titel: Op Oloop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juan Filloy
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Sprachlosigkeit.
    Die Gäste, die dem Wortschwall Op Oloops zunächst reserviert gefolgt waren, gaben sich schließlich seinen beeindruckenden Schilderungen hin. Sein Vortrag war schon kein durch die Umstände erzwungener Sophismus mehr, um die Scham zu verdecken, die ihn ungereimte Sätze hatte ausstoßen lassen. Nun hörten sie ihm versunken zu und vermieden so weit wie möglich die mit dem Essen verbundenen Geräusche. Und alle bis auf den Zuhälter litten mit ihm, als seine Stimme in der Stille versank und sein Blick in ferne Ansichten entschwand.
    »Ein Schluck Mercurey?« schlug Gastón mit vorgestreckter Flasche vor.
    Op Oloop blieb stumm.
    Wenn sich jemand den vertikalen Steilhang in sich selbst hinabstürzt, wird der Aufprall vom Rausch der Gefühle und Erinnerungen übertroffen. Und die Wörter verweigern sich kränklich oder treten wie Dunst aus einem Ausbund des Wahnsinns aus.
    Nach einer Weile murmelte er: »Wein: Blut. Blut: Wein. Nein. NEIN! Sonne: Moselwein, Champagner …«
    Waren die Schläue oder die Mystik dieser wohl überlegten und mit priesterlicher Andacht hervorgebrachten Antwort aufrichtig? Niemand wußte es, noch würde es je jemand erfahren. Es gibt rätselhafte psychologische Vorgänge, die nicht einmal die betroffene Person selbst erhellen kann. Wenn der Geist posiert, spiegelt er manchmal urwüchsige Eigenschaften wider, denn dies geschieht in extremen Lagen, die von Erregung oder Depression geprägt sein können und jede Fiktion übertreffen. Diese andächtige Pose Op Oloops war echt, malgré lui. Doch die Schläue lag in ihrer eigenen Mystik; denn die Mystik ist nichts weiter als eine Entelechie, die ihre Einfachheit hinter betrügerischen Umhängen aus Intrigen verbirgt.
    Auf einmal schien er bereit, sich zu erklären. Die Augen wurden ganz Ohr. Jeder hing am morbiden Zauber seiner Worte. Und er sprach, in gedämpftem und seufzendem Ton, mit dem seltsamen Stimmfall einer untergegangenen Glocke: »Wein: Blut. Blut: Wein! Ich habe Bauern gesehen, die sich beim Heben des roten Glases mit einheimischem Wein bekreuzigten und weinten, da sie glaubten, das Blut ihrer Söhne zu trinken. Ich habe von Mörsergranaten durchsiebte Gegenden gesehen, in denen die Kadaver sich gekrümmt um die Stümpfe der Weinstöcke schlangen. Ich habe Trauben von blonden Köpfen gesehen, deren Saft die Erde gierig aufsaugte, um ihn später als Champagnerschaum zu veräußern. Ich habe an makellosen Morgenden am Moselufer gesehen, wie sich aus den abgebrannten Obstgärten verfallene Weinstöcke wie die Knochen von Geistern erhoben. Und allerorten, mit Diademen aus Weinreben und Stacheldraht gekrönt, lag das grüne Fleisch der Jugend, in dem Schatten, Schmach und Wundschorfgärten. Daher berauscht der Wein mich mit Betrübnis, bevor er mich mit Vergessen belohnt. Und da ich weiß, daß sich in ihm die menschlichen Essenzen umwandeln, ist jeder Schluck ein höhnisches Lachen für meine Betrübnis und später Balsam für mein Vergessen.«
    Eine lange Pause.
    Er trank sein Glas in vier Zügen aus.
    Die anderen taten es ihm nach.
    Nie war eine Liturgie hingebungsvoller. Sie verweilten in religiöser Stille, in der Andacht, die die Pritaner auf dem Pnix verlangten.
    Und er fuhr im selben gedämpften und seufzenden Ton fort, mit dem seltsamen Stimmfall einer untergegangenen Glocke: »Wein: Blut. Blut: Wein! … Auf den Friedhöfen von Aisne-Marne, Oise-Aisne, Meuse-Argonne, von Somme, Suresnes, Saint Mihiel und Flanders Field habe ich die Auslese des Todes in die Erde abgefüllt. Mehr als dreißigtausend identifizierte Leichen ruhen auf blühendem Wiesengrund ihr Fleisch aus, das in dem Martyrium aus shrapnells und Kartätschenladungen erblühte. Ich war fast zwei Jahre lang ein makabrer Stratege. Mit welcher Sanftmut ließ sich der Abfall der Schlachtereien fügsam machen! Welch erhabene Folgsamkeit fand ich stets in Knochen und Lumpen! Es schien, daß die eingetretene Prophezeiung mir die Arbeit erleichterte. Bald erhellten die fauligen Splitter eines Unterarms, bald der auseinandergerissene Bauch einer Feldflasche oder der blutige Rost eines Gewehrkolbens die Identität des Todes. Des vielfachen Todes, der doch immer der eine ist. Und ich brachte sie in Formation, ließ sie antreten, um sich selbst zu besiegen, in reglosen Bataillonen, gegen die vermeintliche Barbarei und das augenfällige Massaker. Die perverse Disziplin, die ständige Ruchlosigkeit, die kultivierte Ungerechtigkeit der Waffen gaben der mystischen

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