Op Oloop
die Mißwirtschaft und die Betrügereien verschiedener südamerikanischer Nationen auszuwerten, den Amtsmißbrauch und die finanzielle Ruchlosigkeit von Diktaturen und Freistaaten zu vergleichen, und anhand von Zahlen die soziale Revolution wie einen vorbeugenden Folgesatz vorauszusagen, kaum daß das Volksbewußtsein die es umgebende Fäulnis wahrnehmen würde.«
Der Kapitän ertrug seine Ungeduld nicht länger. Dieses geschickt komponierte »Abendmahl« brachte ihn zum Toben.
»So-zi-ale Re-vo-lu-tion … Ein hübscher Ausdruck … Und danach?«
Op Oloop überwand die Störung gelassen und beschränkte sich darauf zu flüstern: »Danach: nichts. Nur ein Vers von Robert Louis Stevenson:
Ich bin bergab gestiegen und bergauf;
Ich litt und war rührig für und für;
Ersehnte alles, gab die Hoffnung auf;
Und ich lebt und liebt, und schloß die Tür.«
Der letzte Vers war kaum zu hören.
Ein unsichtbarer charme voll schmerzlicher Schönheit parfümierte seine Worte. Dann wurden sie von seinen Qualen zerstreut, und er schloß mit einem Seufzer, der eher seinen gesenkten Augenlidern als seinem Mund entsprang.
Entgegenkommen: Das Mitgefühl mit den Empfindungen der anderen bis zum Mitleid zu senken, war keine von Eriks Stärken. Seine Unterbrechungen – jähe Schlaglöcher in der Heiterkeit des Banketts – waren so zahlreich, daß sich der Gastgeber nicht einmal mehr an sie erinnerte. Er wußte, daß die Freundschaft seines Landsmannes treu, wenn auch bissig war. Und das reichte ihm. Eine Freundschaft mit versteckter Strömung, von der Art, die sadistisch versucht, das Gehör zur Verzweiflung zu treiben, um von dem reinen Gefühlsfluß abzulenken, der tief innen verläuft!
Nun äffte er brummelnd nach: »›Ich habe gelebt, geliebt und die Tür geschlossene … Bah, bah, bah! … Du hast nie geliebt …«
»Mir ist bekannt …«
»… wenn du geliebt hättest ›wie es sich gehört‹, hättest du nicht so viele Grillen und so viel Gram.«
»Laß mich sprechen«, scholt Ivar. »Mir ist bekannt, daß Op Oloop in Minna Uusikirkko verliebt war, die Tochter des Literaturlehrers am Gymnasium von Oulu. Ich war sein Vertrauter. Er sagte mir seine Verse und Delirien auf. War es nicht so?«
Der Tabaktüll umhüllte ein Lächeln.
»Genau.«
Der Moment war günstig. Gastón Mariettis Stimme glitt seidenweich herbei: »Mir ist es auch bekannt. Op Oloop war und ist einer der feinsten Kenner ›unserer Importprodukte‹. Sein Expertenbuch weist sicherlich viele interessante Notizen auf … Nicht wahr, mein Freund?«
Der Qualmvorhang glitzerte vor Spitzbübigkeit.
»Genau.«
»Die Liebe ist etwas anderes. Die Liebe weilt nicht im Puff. Sie verstehen nichts davon.«
»Welche Unwissenheit, Kapitän! Die Liebe ist allgegenwärtig und pantheistisch. Sie ist überall und in allen Dingen. Sie verwechseln die maisons d'illusion mit den Pißbecken. Ihre Ansicht erstaunt mich. Sie ist identisch mit dem, was eine gewisse pharisäische Moral predigt, den Blick nach außen gerichtet, zu Lasten der verrosteten Zensoren im Inneren. Die öffentlichen Häuser beherbergen mehr Zärtlichkeit, Liebkosung und Liebe als viele »respektable« Heimstätten von verschlagener Geilheit und heuchlerischer Zügellosigkeit. Die weibliche Belegschaft eines Freudenhauses liebt unendlich viel mehr als die einer Munitionsfabrik oder eines Klosters der Barmherzigen Frauen. Die Leidenschaft – die der Großzügigkeit gleich ist – beschränkt sich in ihnen weder darauf, den Schrecken des Todes zu produzieren, noch verpflichtet sie dazu, Grauen vor dem Leben zu empfinden, vielmehr ist sie losgelöst und überschüttet den Durst der Männer mit ihrer Gabe. Die Freigebigkeit des Lasters ist demnach eine legitime Tugend, an der es den Scheinheiligen mangelt, die heimlich masturbieren. Sonst nichts.«
»Mir scheint, daß Sie das Pferd beim Schwanz aufzäumen«, kommentierte Peñaranda. »Der Frauenhandel wird die Spezies vernichten, da er die Krankhaftigkeit einer biologischen Anomalie verbreitet.«
»Absolut nicht. Verwechseln Sie das luftigleichte Leben nicht mit dem in die Luft gehenden Leben … Der Luftverkehr ist tödlicher als der Liebesverkehr …«
»Ich bin der gleichen Meinung. Ich bin Mitarbeiter im Ausschuß zur Erforschung und Bekämpfung der Syphilis. Statistiken zufolge, die uns vorliegen, verursacht die Syphilis in den Ländern, die die Prostitution abschaffen wollen, größere Verwüstungen als in denen, die sie
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