Op Oloop
revolutioniert und übertritt. Ein Extremist: die Liebe!«
»Die Liebe, ach was. Für mich ist die Liebe Zahl, Karteikarte, Berechnung.«
»Bis tausend. Doch die tausendundeins … Franzi …«
»Nein, NEEIN , NEEEIN!«
Op Oloops Raserei vergrößerte in fortschreitendem Maße das Kaliber seines Mundes und die Lautstärke seiner Stimme. Die Schande, die ihn überschwemmte, mußte riesig sein, wenn der Strahl der Verneinung soviel Abwasser hervordrängte.
»Nein, nein, nein«, wiederholte er noch einmal, bereits ohne Betonung, erleichtert. »Wie Sie die Dinge durcheinanderwerfen, mein Freund! Das eine sind Vereinigungen des Fleisches. Das andere Vereinigungen des Geistes.«
Er war bleich, verschwitzt.
»Entschuldigen Sie. Ich wußte nicht …«
»Gut, wissen Sie es. Franziska: zweiundzwanzig Jahre, baby-face, fünf Sprachen, Apfelhaut, Waise mütterlicherseits, Tochter von Quintin Hoerée, Arm aus Birnenfleisch, Expertin für Konsulatsfinanzen, die einzige Frau, die es auf Erden gibt!«
»Wie bitte! Die Tochter von Quintin Hoerée, dem Schichtholzimporteur? In sie hast du dich verliebt!«
»Ich habe mich verlobt.«
»Ver-lobt? Du bist doch doppelt so alt und doppelt so groß!«
»Wie auch immer, sie ist die einzige Frau, die mir in meinem Erdkreis wert und teuer war. Durch ihren Besitz werde ich den lebendigen Schlüssel zur ewigen Algebra haben.«
Seine Qual, bis zu diesem Augenblick seidenweich und matt, verhärtete sich plötzlich. Seine vom Fieber verhangenen Augen verschleuderten aggressive Blitze.
Alle entschieden sich zu schweigen. In dieser Situation hätte jede Abschweifung einen Mangel an Fingerspitzengefühl bedeutet. Wie beim Höhepunkt einer Zirkusnummer, wo die Konzentration des Publikums so massiv wird, daß sie den Artisten in der Luft hält und seinen Sturz verhindert, so hielt Op Oloop sich auf sechs Säulen aus Schweigen.
Für kurze Zeit.
Eine stärkere Gravitation riß ihn nach unten. Und als er zerschellte, explodierte er in einem Zornausbruch von tückischer Redseligkeit: »Es gäbe nichts zu beanstanden. Die Funktion des Verwerflichen ist es, seine Verwerflichkeit zu preisen. Doch die Geste geschieht notgedrungen. Eine Geste, die der jenes französischen Dandys ähnelt, der einen Rüpel zum Duell aufforderte, da er die Jungfrau beleidigt hatte, nicht so sehr aus Religiosität als aus Höflichkeit, ist die Jungfrau doch eine schwache Frau … (Herausfordernde Geste in die Runde.) Nun gut, Franziska, me voici. Die eng mit der Ernsthaftigkeit verwandte Dummheit hat den Verdacht geäußert, daß du eine Karteikarte mehr bist, daß du in der dankbaren Neigung der Wollust ein Konkubinat eingegangen bist, daß du die Ethik des Zusammenlebens eingeebnet hast, während du die beiden weltlichen Insignien schwenktest, die Leidenschaft und den Wagemut. (Schräger Blick zu Peñaranda.) Du, der du mit Schüchternheit in die ›Bekenntnisse‹ des Jean-Jacques gebissen hast, so wie man in einen Scherzkeks beißt, ich weiß wohl, daß du, bei diesem Bankett, das Bonbon der Schmährede mit wahrhaftigem, mit unsäglichem Genuß lutschen würdest. Du kennst mehr als jeder andere das tiefe Vergnügen, das im Erfassen der fremden Torheit liegt. Jener bezaubernden Torheit, die sich für gewöhnlich über ihr eigenes Unverständnis erzürnt und dank trügerischer Spiegelfechtereien versucht, allen mit ihrem Groll eine Lektion zu erteilen. (Despektierliche Grimassen in Eriks Richtung.) Hier, Franzi, sind die Leute noch auf dem Niveau von Don Juan. Sie loben ihn und verwöhnen ihn wie Höhlenmenschen. Sie sind von ebenseiner niedrigen spirituellen Machart. Daher betreten sie im geheimen boudoir der Vorstellungskraft und zwischen Impotenzängsten aufs neue den mit Niederlagen gepflasterten Pfad ihrer tolpatschigen Sinnlichkeit. ( Gegen Sureda eingefädelter Ekel.) Sie wissen nicht, daß ich über der Ironie ihres Schicksals eine Ästhetik der Liebe aufgebaut habe, grundlegend verschieden von der Triebmechanik, die ich zur Schau trug. Sie wissen nicht, daß der ›Lehrsatz des Don Juan‹ eine Gleichung miteinschließt, die von der Psychiatrie gelöst wird. Sie wissen nicht, daß er ein kaninchenhafter Mann war, scheu und schwächlich, der nie geliebt hat. ( Sarkastische Anspielung auf Cipriano.) Wir dürstenden Wesen, die wir unseren Durst nie stillen, werden auf alle Zeiten unsere Nostalgie pflegen, um die Monotonie der Dämmerung zu verschönern. Doch die, die den Kelch schlürften und in ihn
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