Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
eine halbe Stunde Verspätung nicht so schlimm, oder?«, fragt er grinsend. Wir laden die Sachen ein, sie passen gerade auf die fünf Sitze in der Mitte.
Als wir abheben, befinden wir uns wieder auf der historischen Route, diesmal im Zeitraffer und ein paar Hundert Meter höher. Zwei Tage beschwerlicher Abstieg mit schwerem Gepäck: eine Minute. Neun Stunden Paddeln und Frieren im zusammengezimmerten Kajakfloß: zwei Minuten. 14 Stunden Bootsfahrt über den Sermilik-Fjord, dann an der Meeresküste nach Angmagssalik: 16 Minuten. Vier Urlauber mit zu viel Gepäck beim
scenic flight
über den Fjord, fehlt nur noch der Plastikbecher mit Tomatensaft.
Ein letzter Blick zurück aufs Eis, grauweiß und wenig einladend im Nebeldunst. Dem Eis ist es egal, ob wir bleiben oder gehen. Wir fliegen über den Hundefjord, an Ficks Bjerg vorbei, gut zu erkennen ist die Insel Kekertatsuatsiak. Der riesige Sermilik-Fjord mit seinen Eisbergen, hellblau schimmern die verborgenen Partien unter der Wasseroberfläche. Eine irrwitzige Idee, hier mit einem undichten Boots-Eigenbau aus Zeltplanen, Schlitten- und Skiholz übersetzen zu wollen.
Es ist schade, dass es neblig ist, sonst hätten wir eine phantastische Aussicht auf das Schweizerland. Unter der Nebeldecke sind nur einige Berge der Kette auszumachen. Mit etwa 200 km/h fliegen wir über eine Landschaft aus schroffem Fels, riesigen Gletschern und Wasser in verschiedenen Blautönen. Keine Spur von Menschen, ein unbewohnter Eisplanet. Manchmal wird der Hubschrauber durchgeschüttelt, als sei er in Turbulenzen geraten.
So war das nicht geplant. Wir sollten jetzt oben auf dem Eis sein, schon fast in Sichtweite der Westküste. Während ich durch das Fenster die wundersame Landschaft beobachte, spüre ich zum ersten Mal die Enttäuschung über unser Scheitern. Vorher war immer noch was zu tun, vorher gab es Aufgaben, Etappenziele. Und Blogtexte, die geschrieben und verschickt werden mussten. Jetzt ist sie da, die Enttäuschung. Und der Ärger. Über zwei von 580 Ausrüstungsgegenständen, von denen sich 578 bestens bewährt haben. Keine Kleidungsmembran hat Ärger gemacht, kein Zelt war undicht, keine Skibindung hat geklemmt. Fit waren wir auch, alle waren mit dem gleichen Lauftempo einverstanden, keiner schlich japsend hinterher. Verdammte Schlitten!
Nach knapp 20 Minuten taucht die Hafenbucht von Tasiilaq unter uns auf. Wir landen auf einem asphaltierten Flugplatz zwischen dem Zeltlager am Ufer und der Müllhalde. Die Zivilisation riecht nach Benzin und Staub.
Für unsere Sachen steht ein rustikal anmutender gelber Gepäckwagen mit vier Reifen und Gitterwänden aus Metall bereit. Das quietschende Monstrum muss allein Dutzende Kilo wiegen, auf der Ladefläche ist gerade genug Platz für den Berg aus Pulkas, Skiern und Rucksäcken. »So einen Wagen hättet ihr mitnehmen sollen statt der Schlitten«, sagt der Pilot zum Abschied und tätschelt das Metall wie die Flanke eines braven Hundes.
31. Juli 1912
Grönland, Ostküste
Hoesslys Bjerg brennt. Zwischen den Flammen hasten ein paar Schweizer umher, die in diesem Inferno Mühe haben, am steilen Hang sicher zurück zum Ufer zu kommen. Das Heidekraut, das sie für ein Signalfeuer entzündet haben, brennt besser als erwartet, wenn auch nicht lange. Falls am anderen Ufer des Fjords Inuit zelten, müssen sie den Rauch sehen.
Die Hundertschaften Mücken, ihre derzeit schlimmsten Feinde, sind damit leider nicht zu beeindrucken. Die vier Männer haben sich Schleier vor ihre Kapuzen genäht, um ihre Gesichter zu schützen.
Immer wieder fliehen sie ins Zelt, um nicht noch mehr zerstochen zu werden. Als de Quervain dort gerade einen kleinen Vortrag über die Schönheit des Straßburger Münsters hält, hören sie plötzlich vom Wasser her Geräusche. Ob das wieder mal ein paar Seehunde sind, die schnaufen und ihre Pirouetten drehen? Nein, die klingen anders. Sie springen auf und laufen zum Ufer. Kajakmänner! Drei Inuit legen an.
Mit Salutschüssen werden die Besucher empfangen, die sich als Timotheus und Ferdinand vorstellen, aus dem Dritten ist kein Name herauszubekommen. »Kujanak, kujanak«, sagen sie immer wieder vor sich hin, eine Dankesformel. Offenbar wissen sie von Petersen, wo diese wild aussehenden Männer gerade herkommen. Der dänische Ortsvorsteher hat versprochen, zwischen Ende Juli und Mitte August regelmäßig ein paar Kajakfahrer herzuschicken, um nach der Expedition Ausschau zu halten.
Eigentlich war geplant, dass nun
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