Oper und Drama
nur die Melodie, wie sie aus dem Wesen der modernen Musik ermöglicht wird, ist die den Dichter erlösende, seinen Drang erregende wie befriedigende Melodie .
Dichter und Musiker gleichen hierin zwei Wanderern, die von einem Scheidepunkte ausgingen, um von da aus, jeder nach der entgegengesetzten Richtung, rastlos gerade vorwärtszuschreiten. Auf dem entgegengesetzten Punkte der Erde begegnen sie sich wieder; jeder hat zur Hälfte den Planeten umwandert. Sie fragen sich nun aus, und einer teilt dem andern mit, was er gesehen und gefunden hat. Der Dichter erzählt von den Ebenen, Bergen, Tälern, Fluren, Menschen und Tieren, die er auf seiner weiten Wanderung durch das Festland traf. Der Musiker durchschritt die Meere und berichtet von den Wundern des Ozeans, auf dem er oftmals dem Versinken nahe war, dessen Tiefen und ungeheuerliche Gestaltungen ihn mit wohllüstigem Grausen erfüllten. Beide, von ihren gegenseitigem Berichten angeregt und unwiderstehlich bestimmt, das andere von dem, was sie selbst sahen, ebenfalls noch kennenzulernen, um den nur auf die Vorstellung und Einbildung empfangenen Eindruck zur wirklichen Erfahrung zu machen, trennen sich nun nochmals, um jeder seine Wanderschaft um die Erde zu vollenden. Am ersten Ausgangspunkte treffen sie sich dann endlich wieder; der Dichter hat nun auch die Meere durchschwommen, der Musiker die Festländer durchschnitten. Nun trennen sie sich nicht mehr, denn beide kennen nun die Erde: was sie früher in ahnungsvollen Träumen sich so und so gestaltet dachten, ist jetzt nach seiner Wirklichkeit ihnen bewußt geworden. Sie sind eins; denn jeder weiß und fühlt, was der andere weiß und fühlt. Der Dichter ist Musiker geworden, der Musiker Dichter: jetzt sind sie beide vollkommener künstlerischer Mensch.
Auf dem Punkte ihrer ersten Zusammenkunft, nach der Umwanderung der ersten Erdhälfte, war das Gespräch zwischen Dichter und Musiker jene Melodie , die wir jetzt im Auge haben – die Melodie, deren Äußerung der Dichter aus seinem innersten Verlangen heraus gestaltete, deren Kundgebung der Musiker aus seinen Erfahrungen heraus aber bedang. Als beide sich zum neuen Abschiede die Hände drückten, hatte jeder von ihnen das in der Vorstellung, was er selbst noch nicht erfahren hatte, und um dieser überzeugenden Erfahrung willen trennten sie sich eben von neuem. – Betrachten wir den Dichter zunächst, wie er sich der Erfahrungen des Musikers bemächtigt, die er nun selbst erfährt, aber geleitet von dem Rate des Musikers, der die Meere bereits auf kühnem Schiffe durchsegelte, den Weg zum festen Lande fand und die sichren Fahrstraßen ihm genau mitgeteilt hat. Auf dieser neuen Wanderung werden wir sehen, daß der Dichter ganz derselbe wird, der der Musiker auf seiner vom Dichter ihm vorgezeichneten Wanderung über die andere Erdhälfte wird, so daß beide Wanderungen nun als ein und dieselbe anzusehen sind.
Wenn der Dichter jetzt sich in die ungeheuren Weiten der Harmonie aufmacht, um in ihnen gleichsam den Beweis für die Wahrheit der vom Musiker ihm »erzählten« Melodie zu gewinnen, so findet er nicht mehr die unwegsamen Tonöden, die der Musiker zunächst auf seiner ersten Wanderung antraf; sondern zu seinem Entzücken trifft er das wunderbar kühne, seltsam neue, unendlich fein und doch riesenhaft fest gefügte Gerüst des Meerschiffes, das jener Meerwanderer sich schuf, und das der Dichter nun beschreitet, um auf ihm sicher die Fahrt durch die Wogen anzutreten. Der Musiker hatte ihn den Griff und die Handhabung des Steuers gelehrt, die Eigenschaft der Segel und all das seltsam und sinnig erfundene Nötige zur sicheren Fahrt bei Sturm und Wetter. Am Steuer dieses herrlich die Fluten durchsegelnden Schiffes wird der Dichter, der zuvor mühsam Schritt für Schritt Berg und Tal gemessen, sich mit Wonne der allvermögenden Macht des Menschen bewußt; von seinem hohen Borde aus dünken ihm die noch so mächtig rüttelnden Wogen willige und treue Träger seines edlen Schicksales, dieses Schicksales der dichterischen Absicht. Dieses Schiff ist das gewaltig ermöglichende Werkzeug seines weitesten und mächtigsten Willens; mit brünstig dankender Liebe gedenkt er des Musikers, der es aus schwerer Meeresnot erfand und seinen Händen nun überläßt – denn dieses Schiff ist der sicher tragende Bewältiger der unendlichen Fluten der Harmonie, das Orchester . –
Die Harmonie ist an sich nur ein Gedachtes: den Sinnen wirklich wahrnehmbar wird sie erst als
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