Oper und Drama
Melodie weder aus dem Tanzrhythmus noch aus dem Wortverse ihre Rechtfertigung erhielte, sondern ohne diese Rechtfertigung, die sie einzig vor dem Gefühle als wahrnehmbar bedingen kann, sich nur als zufällige Erscheinung auf der Oberfläche der Akkorde willkürlich wechselnder Grundtöne kundgäbe – nur dann würde das Gefühl, ohne bestimmenden Anhalt, durch die nackte Kundgebung der Harmonie beunruhigt werden, weil sie ihm nur Anregungen, nicht aber die Befriedigung des Angeregten zuführte.
Unsre moderne Musik hat sich gewissermaßen aus der nackten Harmonie entwickelt. Sie hat sich willkürlich nach der unendlichen Fülle von Möglichkeiten bestimmt, die ihr aus dem Wechsel der Grundtöne, und der aus ihnen sich herleitenden Akkorde, sich darboten. Soweit sie diesem ihrem Ursprunge ganz getreu blieb, hat sie auf das Gefühl auch nur betäubend und verwirrend gewirkt, und ihre buntesten Kundgebungen in diesem Sinne haben nur einer gewissen Musikverstandsschwelgerei unsrer Künstler selbst Genuß geboten, nicht aber dem unmusikverständigen Laien. Der Laie, sobald er nicht Musikverständnis affektierte, hielt sich daher einzig nur an die seichteste Oberfläche der Melodie, wie sie ihm in dem rein sinnlichen [Fußnote: Ich erinnere an das »Kastraten-Messerchen«.] Reize des Gesangsorganes vorgeführt wurde; wogegen er dem absoluten Musiker zurief: »Ich verstehe deine Musik nicht, sie ist mir zu gelehrt.« – Hierwider handelt es sich nun bei der Harmonie, wie sie als rein musikalisch bedingende Grundlage der dichterischen Melodie miterklingen soll, durchaus nicht um ein Verständnis in dem Sinne, nach welchem sie jetzt vom gelehrten Sondermusiker verstanden und vom Laien nicht verstanden wird: auf ihre Wirksamkeit als Harmonie hat sich beim Vortrage jener Melodie die Aufmerksamkeit des Gefühles gar nicht zu lenken, sondern, wie sie selbst schweigend den charakteristischen Ausdruck der Melodie bedingen würde, durch ihr Schweigen das Verständnis dieses Ausdruckes aber nur unendlich erschweren, ja dem Musikgelehrten, der sie sich hinzuzudenken hätte, es einzig erschließen müßte – so soll das tönende Miterklingen der Harmonie eine abstrakte und ablenkende Tätigkeit des künstlerischen Musikverstandes eben unerforderlich machen und den musikalischen Gefühlsinhalt der Melodie als einen unwillkürlich kenntlichen, ohne alle zerstreuende Mühe zu erfassenden, dem Gefühle leicht und schnell begreiflich zuführen.
Wenn somit bisher der Musiker seine Musik sozusagen aus der Harmonie herauskonstruierte, so wird jetzt der Tondichter zu der aus dem Sprachverse bedingten Melodie die andere notwendige, in ihr aber bereits enthaltene, rein musikalische Bedingung, als miterklingende Harmonie, nur wie zu ihrer Kenntlichmachung noch mit hinzufügen. In der Melodie des Dichters ist die Harmonie, nur gleichsam unausgesprochen, schon mitenthalten: sie bedang ganz unbeachtet die ausdrucksvolle Bedeutung der Töne, die der Dichter für die Melodie bestimmte. Diese ausdrucksvolle Bedeutung, die der Dichter unbewußt im Ohre hatte, war bereits schon die erfüllte Bedingung, die kenntlichste Äußerung der Harmonie; aber diese Äußerung war für ihn nur eine gedachte, noch nicht sinnlich wahrnehmbare. An die Sinne, die unmittelbar empfangenden Organe des Gefühles, teilt er sich jedoch zu seiner Erlösung mit, und ihnen muß er daher die melodische Äußerung der Harmonie mit den Bedingungen dieser Äußerung zuführen, denn ein organisches Kunstwerk ist nur das, was das Bedingende mit dem Bedingten zugleich in sich schließt und zur kenntlichsten Wahrnehmung mitteilt. Die bisherige absolute Musik gab harmonische Bedingungen; der Dichter würde nur das Bedingte in seiner Melodie mitteilen und daher ebenso unverständlich als jener bleiben, wenn er die harmonischen Bedingungen der aus dem Sprachverse gerechtfertigten Melodie nicht vollständig an das Gehör kundtäte.
Die Harmonie konnte aber nur der Musiker , nicht der Dichter erfinden. Die Melodie, die wir den Dichter aus dem Sprachverse erfinden sahen, war, als eine harmonisch bedingte, daher eine von ihm mehr gefundene, als erfundene. Die Bedingungen zu dieser musikalischen Melodie mußten erst vorhanden sein, ehe der Dichter sie als eine wohlbedungene finden konnte. Diese Melodie bedang, ehe sie der Dichter zu seiner Erlösung finden konnte, bereits der Musiker aus seinem eigensten Vermögen: er führt sie dem Dichter als eine harmonisch gerechtfertigte zu, und
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